Der ewige Gaertner
die ihm nachliefen und »fünf Shilling, fünf Shilling« riefen, und wohlmeinende Autofahrer, die ihn mitnehmen wollten. Und doch hatte er, als er schließlich in die Auffahrt einbog, jene Stunde seines Lebens noch einmal durchlebt, die in seinem Gedächtnis brannte wie eine einzige Anklage.
***
Sechs Betten stehen in dem Zimmer im Uhuru-Krankenhaus, jeweils drei an einer Wand. Auf keinem liegen Decken oder Kissen. Der Fußboden ist aus Beton. Es gibt Oberlichter, aber sie sind nicht geöffnet. Obwohl es Winter ist, geht kein Luftzug, und der Gestank von Ausscheidungen und Desinfektionsmitteln ist so heftig, dass Woodrow das Gefühl hat, ihn gleichzeitig zu riechen und mit allen Poren in sich aufzunehmen. Tessa liegt im mittleren Bett an der linken Wand und hat ein Kind an der Brust. Mit Bedacht hebt er sich ihren Anblick noch auf. Die Betten neben ihr sind leer, bis auf brüchige Gummiunterlagen, die auf die Matratzen geknöpft sind. Auf der anderen Zimmerseite liegt ein sehr junges Mädchen zusammengekrümmt auf der Seite, den Kopf flach auf der Matratze, ihr nackter Arm hängt über die Bettkante. Ein Junge im Teenageralter kauert auf dem Boden dicht neben ihr, den beschwörenden Blick aus weit aufgerissenen Augen unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet, und fächelt ihr mit einem Stück Pappe Luft zu. Daneben sitzt eine würdige alte Dame mit weißem Haar kerzengerade im Bett und liest, eine Hornbrille auf der Nase, in der Missionsbibel. Sie trägt ein baumwollenes Kangatuch von der Sorte, mit der Touristen sich gerne kostümieren. In dem dritten Bett an der rechten Wand liegt eine Frau, die einen Kopfhörer aufhat und das, was sie hört, mit mürrischer Miene begleitet. Der Schmerz hat sich ihr in das zutiefst gottesfürchtige Gesicht eingegraben. All dies nimmt Woodrow wie ein Spion zur Kenntnis, während er Tessa aus den Augenwinkeln beobachtet und sich fragt, ob sie ihn wohl bemerkt hat.
Bluhm jedenfalls hat ihn gesehen. Er hat den Kopf gehoben, sobald Woodrow mit unsicherem Schritt das Zimmer betreten hat. Er ist von seinem Platz an Tessas Bett aufgestanden, hat sich gebückt, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern, und ist dann still auf ihn zugekommen, um seine Hand zu ergreifen und »Willkommen« zu murmeln, von Mann zu Mann. Willkommen wozu? Willkommen bei Tessa, mit Empfehlungen ihres Liebhabers? Willkommen in diesem stinkenden Höllenpfuhl der lethargisch Leidenden? Doch Woodrows einzige Antwort ist ein ehrerbietiges »Schön, Sie zu sehen, Arnold«, worauf Bluhm diskret zur Tür hinausschlüpft.
Wenn englische Frauen stillen, so tun sie das – nach Woodrows begrenzter Erfahrung mit dieser Spezies – in züchtiger Zurückhaltung. So war es auf alle Fälle bei Gloria gewesen. Sie knöpfen ihre Bluse auf, ganz wie ein Mann es tun würde, setzen dann aber alles daran zu verbergen, was sich darunter befindet. Tessa jedoch fühlt sich in der stickigen afrikanischen Luft nicht zu solcher Sittsamkeit verpflichtet. Sie ist nackt bis zur Taille, um die sie ein Kangatuch gewickelt hat, ähnlich dem der alten Frau. Das Kind hält sie an die linke Brust, die rechte ist entblößt und wartet. Ihr Oberkörper ist schmal, fast durchscheinend. Ihre Brüste sind, selbst nach der Geburt, so leicht und makellos, wie er es sich oft genug ausgemalt hat. Das Kind ist schwarz. Blauschwarz vor Tessas marmorweißer Haut. Eine winzige schwarze Hand hat die Brust gefunden, die sie nährt, und betastet sie mit unheimlicher Zuversicht, von Tessa behütet, die langsam ihre großen, grauen Augen hebt und Woodrows Blick begegnet. Er sucht nach Worten, findet aber keine. Er beugt sich, einen Bogen um das Kind machend, über sie. Die linke Hand auf das Kopfende ihres Bettes gestützt, drückt er ihr einen Kuss auf die Stirn. Zu seiner Überraschung bemerkt er ein Notizbuch neben dem Bett, dort wo Bluhm gesessen hat. Es balanciert schräg auf einem winzigen Tisch, neben einem Glas mit abgestandenem Wasser und einigen Kugelschreibern. Es ist aufgeschlagen, und Tessa hat etwas hineingeschrieben in ihrer undeutlichen, spinnenartigen Handschrift, die nur eine schlechte Erinnerung an die in Privatschulen gelehrte Schreibschrift ist, die er bei ihr vermuten würde. Er lässt sich im Damensitz auf der Bettkante nieder, während er immer noch überlegt, was er sagen könnte. Aber es ist Tessa, die das Wort ergreift; schwach, mit einer von Medikamenten und erlittenem Schmerz erstickten Stimme, die dennoch unnatürlich beherrscht wirkt, noch immer
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