Der ewige Gaertner
Größe. Zusammengefaltet passte er bequem in die Jackentasche. Ein dicker schwarzer Rand signalisierte, dass die anonymen Herausgeber der Ausgabe 64 trauerten, und die Schlagzeile bestand aus dem einzelnen Wort TESSA in schwarzen, zehn Zentimeter großen Buchstaben. Ein Exemplar davon wurde Woodrow am Samstag nachmittag von niemand Geringerem überbracht als dem kränklichen, ungehobelten, bebrillten, schnauzbärtigen Zweimetermann Tim Donohue persönlich. Es klingelte an der Haustür, als Woodrow gerade mit den Jungen im Garten Cricket spielte. Gloria, normalerweise eine unermüdliche Wicket-Hüterin, kämpfte im Obergeschoss mit Kopfschmerzen; Justin hatte sich unter Deck verzogen und saß bei geschlossenen Vorhängen in seiner Zelle. Woodrow lief ins Haus und spähte, eine journalistische List argwöhnend, durch den Spion. Vor der Tür aber stand Donohue, ein verlegenes Grinsen auf dem langen, traurigen Gesicht, und wedelte mit etwas, das aussah wie eine rosafarbene Serviette.
»Tut mir schrecklich Leid zu stören, alter Junge. Heiliger Samstag und so weiter. Scheint aber, als sei die sprichwörtliche Kacke ein wenig am Dampfen.«
Mit unverhohlenem Widerwillen führte Woodrow ihn in den Salon. Was um Himmels willen führt der Kerl jetzt wieder im Schilde? Wo wir schon dabei sind, was um Himmels willen führt er überhaupt im Schilde? Woodrow hatte die »Freunde«, wie man die Spione im Außenministerium herzlos nannte, noch nie gemocht. Donohue war nicht gewandt, hatte weder besondere sprachliche Fähigkeiten noch Charme. Allem Anschein nach war sein Haltbarkeitsdatum abgelaufen. Seine Tage schien er mit den sehr viel beleibteren Mitgliedern der Nairobier Geschäftswelt auf dem Golfplatz zu verbringen, seine Abende beim Bridge. Dennoch lebte er auf beachtlich großem Fuß, in einem prächtigen Haus mit vier Dienern und einer verblühten Schönheit namens Maud, die genauso krank aussah wie er. Bildete Nairobi seine Sinekure? Hatten sie ihn am Ende einer glanzvollen Karriere hierher in die Wüste geschickt? Woodrow hatte gehört, dass die »Freunde« derlei zu tun pflegten. Seiner Einschätzung nach war Donohue nichts als überflüssiger Ballast in einem Beruf, der per definitionem parasitär und veraltet war.
»Einer meiner Jungs hat sich zufällig ein bisschen auf dem Marktplatz herumgetrieben«, erklärte Donohue. »Ein paar Typen haben dort diese Flugblätter verteilt und sich dabei irgendwie verdächtig benommen. Also hat mein Mann sich gedacht: Da nehm ich doch auch gleich eins mit.«
Die Titelseite vereinte drei Nachrufe auf Tessa, angeblich verfasst von drei afrikanischen Freundinnen. Alle im gleichen afroenglischen Kauderwelsch: ein bisschen von der Kanzel, ein bisschen Volkes Stimme, ein paar entwaffnende Gefühlsaufwallungen. Tessa, so brachte es jede der Schreiberinnen auf ihre eigene Weise zum Ausdruck, hatte mit der Tradition gebrochen. Durch ihren Reichtum, ihre Herkunft, ihre Ausbildung und ihr Aussehen schien sie dazu bestimmt, mit den ärgsten der weißen Suprematen von Kenia zu tanzen und zu feiern. Stattdessen vertrat sie das genaue Gegenteil all dessen, wofür diese standen. Tessa revoltierte gegen ihre Klasse, ihre Rasse, gegen alles, was sie einengte, sei es ihre Hautfarbe, seien es die Vorurteile der ihr sozial Gleichgestellten oder die Ketten einer konventionellen Diplomatenehe.
»Wie hält Justin sich denn so?«, fragte Donohue, während Woodrow las.
»Ach, danke, eigentlich ganz gut.«
»Hab gehört, er war neulich in seinem Haus.«
»Soll ich das nun lesen oder nicht?«
»Ganz schön starke Beinarbeit, alter Junge, wie ihr die Raubtiere da vor der Tür ausgespielt habt, ich muss schon sagen. Sie sollten zu uns überwechseln. Ist er da?«
»Ja, empfängt aber keine Besucher.«
So wie Afrika zu Tessa Quayles Wahlheimat geworden war, las Woodrow, hatte sie die Sache der Frauen Afrikas zu ihrer Religion gemacht.
TESSA KÄMPFTE FÜR UNS, AUF WELCHEM SCHLACHTFELD AUCH IMMER, GEGEN WELCHE TABUS AUCH IMMER. SIE KÄMPFTE FÜR UNS AUF VORNEHMEN SEKTEMPFÄNGEN, VORNEHMEN DINNER-PARTYS UND ALLEN ANDEREN VORNEHMEN VERANSTALTUN-GEN, ZU DENEN SIE LEICHTSINNIGERWEISE EINGELADEN WAR, UND IHRE BOTSCHAFT WAR IMMER DIESELBE. NUR DIE EMANZIPATION DER AFRIKANISCHEN FRAU KANN UNS VOR DER DUMMHEIT UND DER KORRUPTION UNSERER MÄNNER RETTEN. UND ALS TESSA ENTDECKTE, DASS SIE SCHWANGER WAR, BESTAND SIE DARAUF, IHR AFRIKANISCHES KIND IM KREISE DER AFRIKANISCHEN FRAUEN ZU BEKOMMEN, DIE SIE
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