Der ewige Gaertner
Mildren sich da gerade erlaubte, deutlich zu machen.
Woodrow setzte sich an Coleridges leeren Schreibtisch und beobachtete, wie Mildren dem Safe des Hochkommissars eine weiße Kodekarte entnahm, die er mit großem Eifer in das abhörsichere Telefon einführte.
»Wen wollen Sie eigentlich sprechen?«, fragte Mildren mit der Unverschämtheit, die Privatsekretäre aus der Unterschicht Hochgestellten gegenüber gern an den Tag legen.
»Verschwinden Sie«, sagte Woodrow.
Und sobald er allein war, wählte er die Nummer von Sir Bernard Pellegrin.
* **
Sie saßen auf der Veranda, zwei Diplomatenkollegen, die sich nach dem Dinner noch einen Schlummertrunk im erbarmungslos grellen Licht der Sicherheitsbeleuchtung gönnten. Gloria hatte sich in den Salon begeben.
»Es gibt wohl keine angemessene Art, dies zu sagen, Justin«, begann Woodrow. »Also sag ich es einfach. Es besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass sie vergewaltigt wurde. Es tut mir furchtbar Leid. Für Tessa und für Sie.«
Und es tat Woodrow wirklich Leid, wie denn auch nicht? Manchmal musst du etwas gar nicht fühlen, um zu wissen, dass du es fühlst. Manchmal hat man auf deinen Gefühlen schon so viel herumgetrampelt, dass selbst eine weitere schreckliche Nachricht nur mehr ein lästiges Detail darstellt, das es zu verarbeiten gilt.
»Natürlich steht die Obduktion noch aus, daher sage ich es inoffiziell und unter Vorbehalt«, fuhr er, Justins Blick meidend, fort. »Aber es scheint kein Zweifel zu bestehen.« Er hatte das Bedürfnis, Justin Trost zu spenden. »Die Polizei ist sogar der Ansicht, dass es die Situation überschaubarer macht – endlich hat man ein Motiv. Der Fall bekommt eine allgemeine Stoßrichtung, auch wenn man noch nichts Näheres mit Bestimmtheit sagen kann.«
Justin saß still und aufmerksam da, ein Brandyglas in beiden Händen, als wäre es ein Preis, den man ihm gerade übergeben hatte.
»Es besteht nur die Wahrscheinlichkeit? «, wandte er schließlich ein. »Wie überaus merkwürdig. Wie kann das sein?«
Woodrow hatte zwar nicht damit gerechnet, dass er sich schon wieder bohrenden Fragen würde stellen müssen, aber auf erschreckende Weise war es ihm sogar willkommen, als ritte ihn der Teufel.
»Nun, offenkundig müssen sie sich die Frage stellen, ob es ein Einverständnis gegeben haben könnte. Das ist reine Routine.«
»Was für ein Einverständnis und mit wem?«, fragte Justin verwirrt.
»Tja, mit, äh – wen auch immer sie im Auge haben. Wir können ihnen nicht die Arbeit abnehmen, nicht wahr?«
»Nein, das stimmt. Armer Sandy. Man scheint Ihnen alle unangenehmen Aufgaben aufs Auge zu drücken. Aber jetzt sollten wir uns um Gloria kümmern. Wie gut sie doch beraten war, uns allein zu lassen. Es wäre ihrer zarten englischen Haut bestimmt nicht zuträglich gewesen, hier draußen mit dem gesamten Insektenreich Afrikas zusammenzutreffen.« Justin verspürte plötzlich großen Widerwillen, in Woodrows Nähe zu sein. Er erhob sich und riss die Verandatür auf. »Gloria, meine Liebe, wir haben Sie sträflich vernachlässigt.«
SECHSTES KAPITEL
J ustin Quayle begrub seine auf so vielfältige Weise gemordete Frau auf dem schönen afrikanischen Friedhof Langata unter einem Jakarandabaum, zwischen ihrem tot geborenen Sohn Garth und einem fünfjährigen Kikuyu-Jungen, über den ein kniender Gipsengel mit einem Schutzschild wachte, auf dem geschrieben stand, er weile nun bei den himmlischen Heerscharen. Hinter ihr ruhte in Gott Horatio John Williams aus Dorset und zu ihren Füßen Miranda K. Soper, in ewiger Liebe. Doch Garth und der kleine afrikanische Junge, der Gitau Karanja hieß, waren Tessas nächste Gefährten. Sie lag Schulter an Schulter mit ihnen, so wie Justin es gewünscht und Gloria es nach angemessener Verteilung der von Justin gespendeten Mittel für ihn erwirkt hatte. Justin hielt sich während der gesamten Zeremonie abseits von den anderen. Er stand – Tessas Grab zur Linken, das von Garth zur Rechten – volle zwei Schritte vor Woodrow und Gloria. Die beiden hatten sich bis dahin dicht an seiner Seite gehalten, um ihm Trost zu bieten, aber auch, um ihn vor der Zudringlichkeit der Presse zu schützen. Denn diese nahm ihre Pflicht gegenüber der Öffentlichkeit ernst und ging unerbittlich der Aufgabe nach, Fotos und weiteres Material über den gehörnten britischen Diplomaten und Möchtegern-Vater zu ergattern. Schließlich hatte dessen massakrierte weiße Frau ein Kind ihres afrikanischen Liebhabers zur
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