Der ewige Gaertner
Welt gebracht – so die dreisteren Gazetten – und lag jetzt neben dem Totgeborenen in einem Winkel fern der Heimat begraben, einem Winkel, der von nun an für immer England sein würde.
Neben den Woodrows, aber deutlich von ihnen getrennt, stand in einem Sari Ghita Pearson, den Kopf gebeugt und die Hände in zeitloser Trauerhaltung gefaltet, und neben ihr der totenbleiche Porter Coleridge mit seiner Frau Veronica. Woodrow kam es vor, als lebten die beiden an Ghita die Beschützerinstinkte aus, die sie sonst an ihrer abwesenden Tochter Rosie ausgelassen hätten.
Der Friedhof Langata liegt auf einem weiten Plateau aus rotem Schlamm, üppig bewachsen mit hohem Gras und blühenden, stimmungsvoll wirkenden Zierbäumen, ein paar Meilen vom Stadtzentrum entfernt und in direkter Nachbarschaft zu Kibera, einem der größeren Slums von Nairobi. Über dieser riesigen braunen Schlammwüste voll qualmender Blechhütten wölbt sich eine Dunstglocke aus ungesundem afrikanischem Staub. Im ständig wachsenden Kibera leben eine halbe Million Menschen, eingezwängt in das Flusstal des Nairobi, das überquillt von Abwässern, Plastiktüten, bunten Lumpen, Bananen- und Apfelsinenschalen, Maiskolben und allem, was eine Stadt sonst noch gerne an solchen Orten ablädt. Gegenüber dem Friedhof befinden sich das gepflegte Gebäude des Kenianischen Fremdenverkehrsbüros sowie der Eingang zum Wildpark und irgendwo dahinter die baufälligen Baracken des Wilson Airport, des ältesten Flughafens von Kenia.
Auf die Woodrows und viele andere Trauergäste wirkte Justins selbst gewählte Einsamkeit so kurz vor der eigentlichen Beerdigung ebenso unheilverkündend wie heldenhaft. Es war, als nähme er Abschied nicht nur von Tessa, sondern auch von seiner Karriere, von Nairobi, seinem tot geborenen Sohn und seinem ganzen bisherigen Leben. Seine bedenkliche Nähe zum Rand des Grabs schien das anzudeuten. Unvermeidlich entstand der Eindruck, als verschwände vieles, wenn nicht alles von dem Justin, den sie kannten, mit Tessa im Jenseits.
Nur einer der Lebenden schien seiner Beachtung wert zu sein, wie Woodrow bemerkte, und das waren weder der Priester noch die Wache haltende Ghita Pearson, weder sein Gesandtschaftsleiter, der reservierte, bleiche Porter Coleridge, noch die Journalisten, die um den besten Platz, den optimalen Blickwinkel für ihre Kameras wetteiferten. Weder die einander untergehakt haltenden englischen Ehefrauen, die mit Leidensmienen um die verblichene Schwester trauerten, deren Schicksal so leicht das ihre hätte sein können, noch das Dutzend übergewichtiger kenianischer Polizisten, die nervös an ihren Lederkoppeln herumfingerten.
Nein, es war Kioko. Der Junge, der in Tessas Zimmer im Uhuru-Krankenhaus auf dem Boden gesessen und am Bett seiner sterbenden Schwester gewacht hatte und der zehn Stunden zu Fuß von seinem Dorf hergelaufen war, um sie in ihrer letzten Stunde nicht allein zu lassen. Er war erneut zehn Stunden gelaufen, um an diesem Tag bei Tessa zu sein. Justin und Kioko wurden einander zur selben Zeit gewahr und tauschten einen langen Blick gegenseitigen Verstehens. Kioko war von allen Anwesenden der Jüngste, fiel Woodrow auf. Mit Rücksicht auf afrikanische Traditionen hatte Justin sich die Teilnahme jüngerer Trauergäste verbeten.
Tessas Leichenzug war an den weißen Torpfosten am Eingang des Friedhofs angelangt. Riesige Kakteen, Reifenspuren im roten Schlamm und fromme Bananen-, Feigen- und Eisverkäufer säumten den Pfad zu ihrem Grab. Der Priester war ein alter, ergrauter Schwarzer. Woodrow erinnerte sich, dass er ihm auf einer von Tessas Partys einmal die Hand geschüttelt hatte. Der Priester hatte Tessa überschwänglich verehrt, und er predigte mit Inbrunst seinen Glauben an ein Leben nach dem Tode. Aber angesichts des Verkehrs von der Straße und der Flugzeuge in der Luft – ganz zu schweigen von anderen Bestattungen in der Nähe, dem Schmettern geistlicher Musik von Lastwagen voller Trauergäste, den über Megafone wetteifernden Rednern, die zu Freunden und Angehörigen sprachen, die im Gras um die Särge ihrer Lieben hockten und picknickten – angesichts all dessen war es nicht weiter verwunderlich, dass nur wenige der geflügelten Worte des Gottesmannes die Ohren seiner Zuhörer erreichten. Justin jedenfalls, so er überhaupt etwas wahrnahm, zeigte sich vollkommen unberührt. Gepflegt wie immer in dem dunklen Zweireiher, den er für diesen Anlass gewählt hatte, hielt er den Blick unverwandt auf
Weitere Kostenlose Bücher