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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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würde einen Augenblick der Besinnung brauchen, um über diese tief schürfende Auskunft nachzudenken, und war daher einigermaßen verwirrt, als sie ihm kaum Zeit ließ, seine Ausführungen zum Abschluss zu bringen, bevor sie erneut zuschlug.
    »Können Sie sich demnach eine Situation vorstellen, in der Sie sich persönlich verpflichtet fühlen würden, den Staat zu untergraben? «
    »Ich persönlich? In diesem Land? Ach, du meine Güte, selbstverständlich nicht«, antwortete Justin angemessen schockiert. »Wo ich doch gerade erst nach Hause gekommen bin.« Verächtliches Gelächter aus dem Publikum, das geschlossen hinter Tessa stand.
    »Unter keinen Umständen?«
    »Ich kann mir keine vorstellen.«
    »Wie steht es mit anderen Ländern?«
    »Nun, ich bin kein Bürger anderer Länder, nicht wahr?« Das Lachen tendierte schon etwas mehr zu seiner Seite. »Glauben Sie mir, es ist Arbeit genug, Aussagen über ein Land zu treffen.« – Weiteres Gelächter, das ihm Mut machte. »Meiner Ansicht nach ist mehr als eins einfach nicht –«
    Während er noch nach dem passenden Adverb suchte, holte sie schon zum nächsten Schlag aus; einer ganzen Serie von Schlägen, wie sich zeigte, die auf seinen Kopf und Körper niederprasselten.
    »Warum muss man Bürger eines Landes sein, um ein Urteil darüber fällen zu können? Sie verhandeln doch mit anderen Ländern, oder? Sie machen Geschäfte mit ihnen. Sie verschaffen ihnen durch Handelsvereinbarungen Legitimität. Wollen Sie uns sagen, es gebe eine ethische Norm, die nur für Ihr Land gilt, und eine weitere für alle anderen Länder? Oder was wollen Sie uns eigentlich sagen?«
    Justin war zuerst verlegen, dann wütend. Ein wenig zu spät fiel ihm ein, dass er noch sehr erschöpft war von seinem Aufenthalt im verdammten Bosnien und sich eigentlich erholen sollte. Momentan war er dabei, sich für einen neuen Posten in Afrika einzulesen – einen wie üblich schaurigen, vermutete er. Er war nicht in sein Vaterland zurückgekehrt, um für irgendwelche abwesenden Staatssekretäre den Prügelknaben zu spielen, geschweige denn, deren miserable Reden zu halten. Und er wollte verdammt sein, wenn er, Justin, der ewige Junggeselle, sich an den Pranger stellen ließ von einer allerdings wunderschönen Nervensäge, die ihm die Rolle eines klassischen Vertreters britischer Oberschichtsborniertheit zuweisen wollte. Noch immer lag Gelächter in der Luft, doch es war ein Gelächter auf Messers Schneide, es konnte sich auf diese oder jene Seite schlagen. Na schön: Wenn sie sich in Szene setzen wollte, dann konnte er das auch. Dick auftragend wie der beste Schmierenkomödiant, zog er seine wohlgeformten Augenbrauen hoch und hielt sie dort. Er trat einen Schritt vor und warf die Hände in die Luft, die Innenflächen zur Selbstverteidigung nach außen gekehrt.
    »Gnädigste«, begann er – und das Gelächter entlud sich zu seinen Gunsten. »Ich glaube , Gnädigste – ich habe den fürchterlichen Verdacht –, Sie wollen mich zu einer Diskussion über meine moralischen Grundsätze verführen.«
    Worauf das Publikum in einen wahren Beifallssturm ausbrach – alle außer Tessa. Die Sonne, die auf sie herabgeschienen hatte, war verschwunden. Justin konnte jetzt ihr schönes Gesicht genauer sehen, und er las darin Kränkung und den Wunsch zu fliehen. Und plötzlich kannte er sie sehr gut – in diesem Moment sogar besser als sich selbst. Er verstand die Bürde der Schönheit und den Fluch, ewig ein Ereignis zu sein, und ihm wurde klar, dass er einen Sieg errungen hatte, an dem ihm nicht das Geringste lag. Er war sich seiner eigenen Unsicherheiten bewusst und erkannte, dass Unsicherheit auch an ihr nagte. Sie fühlte sich wegen ihrer Schönheit dazu verpflichtet, sich immer Gehör zu verschaffen. Gerade hatte sie sich dazu durchgerungen, es zu riskieren, aber es war nicht gut für sie gelaufen, und sie wusste nicht, wie sie wieder ans sichere Ufer finden sollte, wo immer das sein mochte. Ihm fiel ein, was für ein Gefasel er da von sich gegeben und mit was für oberflächliche Antworten er sie abgefertigt hatte, und er dachte: Sie hat völlig Recht, ich bin ein Schwein, ja, schlimmer noch, ich bin ein angejahrter Lackaffe aus dem Ministerium, der Stimmung gegen ein schönes junges Mädchen macht, das getan hat, was ihr ganz natürlich erschien. Und in dem Bewusstsein, dass er sie k.o. geschlagen hatte, kam er ihr eiligst zu Hilfe.
    »Wenn wir allerdings einmal für einen Augenblick ernsthaft sein

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