Der Ewige Widersacher
Nazarener fest. Sein Ton klang väterlich, und Bartholomäus spürte allein deshalb schon etwas wie einen schmerzhaften Stich ins Herz.
»Wessen Worte sonst?« gab er trotzig zurück.
»Es sind die Worte desjenigen, der dich geschlagen hat«, meinte sein Gegenüber, und dann fügte er völlig überraschend hinzu: »Du solltest mit mir gehen, junger Freund. Begleite mich und verlasse diesen Ort.«
Bartholomäus saß wie versteinert. Dann stieg Wärme in ihm auf, flutete seine Brust und füllte sie mit Hoffnung - die im nächsten Moment jedoch schon wieder schwand, schneller als sie gekommen war.
Abermals senkte er den Kopf.
»Ich kann nicht«, flüsterte er tonlos. Und nach kurzem Schweigen: »Ich darf es nicht.«
»Folge deinem Herzen«, riet der Nazarener. »Lausche seiner Stimme und tue, was sie dir sagt.«
»I-ich muß gehen«, stieß Bartholomäus hervor und sprang auf. Er stürmte auf die Menge zu, und diesmal hatte er keine Hemmungen, sich mit Ellbogen und Fäusten seinen Weg hindurch zu bahnen.
Bartholomäus floh vor der Hoffnung, die der Nazarener in ihm geweckt hatte - und die ihn ängstigte, weil sie jedes Verbot, das ihm auferlegt war, verletzte.
Er rannte dorthin, wo es keine Hoffnung für ihn gab .
... »nach Hause«.
*
Bartholomäus' Wange brannte, als stünde sie in Flammen, und Blut lief ihm aus einer Kopfwunde übers Gesicht. Hart war er mit der Stirn gegen die Wand geschlagen, getrieben von der Gewalt einer Ohrfeige.
»Wo treibst du dich herum, verdammter Bengel?«
Bartholomäus krümmte sich im Winkel zwischen Mauer und Boden zusammen, als er sah, wie sein Onkel mit dem Fuß ausholte. Die Arme, die er schützend um sich schlang, nahmen dem Tritt die ärgste Wucht. Dennoch trieb es ihm die Luft aus den Lungen, und tagelang würde ihn jeder Handgriff schmerzen.
»I-ich wollte nicht -«, setzte er an, doch das dröhnende Organ seines Onkels übertönte ihn.
»Du wolltest nicht! Ganz recht, gib's nur zu. Du wolltest nicht tun, was ich dir aufgetragen hatte! So ist es!« Wieder schlug der fette Riese zu. Seine riesigen Hände klatschten in Bartholomäus' Nacken. »Steh auf, Bürschlein! Los!«
»J-ja, Onkel.« Zitternd kam Bartholomäus in die Höhe, die Wand als Stütze nutzend. Ein derber Stoß trieb ihn bis zur Stiege, die ins Obergeschoß des Hauses führte. Am Geländer suchte der Junge Halt, doch das Holz war so brüchig, daß es unter seinem Gewicht nachgab und splitternd entzwei brach.
Schon war Zahel hinter seinem Neffen; seine Leibesfülle tat seiner Wendigkeit seltsamerweise keinen Abbruch. Links und rechts schlug er Bartholomäus ins Gesicht.
»Was fällt dir ein? Bist du von allen guten Geistern verlassen?« tobte Zahel. »Ruinierst mein Haus, in dem ich dich so großzügig aufgenommen habe?«
»D-das wollte ich nicht«, wimmerte Bartholomäus und duckte sich in Erwartung weiterer Schläge.
»Wollte ich nicht, wollte ich nicht«, äffte der Fette ihn nach. »Weißt du, was ich wollte, Mistkerl? Ich wollte, daß ich dich nicht zu mir genommen hätte, nachdem deine Alte verreckt war! Du taugst zu nichts. Hätte dich davonjagen sollen, vielleicht hätten wenigstens die Ratten etwas an dir gefunden!«
»Bitte, Onkel, sagt das nicht. Ich tu ja alles, was Ihr von mir verlangt -«
»Ich verlange nichts!« behauptete Zahel aufgebracht. »Ich erwarte nur ein wenig Respekt und Dankbarkeit! Ist das zuviel verlangt?«
»N-nein, gewiß nicht, Onkel. Ich danke Euch ja, von ganzem Herzen -« Bartholomäus konnte nicht weitersprechen. Ihm wurde übel von seinen eigenen Worten. Bittere Galle vertrieb den kupfernen Blutgeschmack aus seinem Mund.
Ein letztes Mal langte der Fette noch hin, dann stieß er den Jungen in die Trümmer des Treppengeländers. »Sieh zu, daß du das richtest. Und dann geh nach oben und bring die Zimmer in Ordnung. Ich erwarte etliche Gäste zur Nacht. Drei oder vier Karawanen sind heute in die Stadt gezogen, alle aus dem Morgenland. Und du weißt, wie geil diese Kerle auf unsere Weiber sind.«
Zahel griff sich mit seinen dicken Fingern in den Schritt und grunzte. Dann stieg er die Treppe hoch, wohl um selbst zu probieren, was er den Gästen in der Nacht vorlegen würde.
Bartholomäus beeilte sich derweil, das Werkzeug zu holen, um das Treppengeländer zu reparieren. Und während er das Holz an-einandernagelte und richtete, vernahm er von oben die Laute seines Onkels, die klangen, als kämen sie aus einem Schweinestall - und hellere Stimmen, voller
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