Der Experte: Thriller (German Edition)
leise zu ihm.
Er dachte an Dewey und ließ sein Ende noch einmal vor seinem inneren Auge ablaufen. Körper, die zusammenstießen, das zufällige Umhertaumeln, das Knacken, mit dem das alte Holz brach, die grenzenlose Traurigkeit in Deweys letzten Worten: Das ist nicht fair ,und dann, wie das Leben ihn verließ wie eine Geliebte, die lange in der Beziehung gelitten hatte und nun endgültig Schluss machte. Geiger ging es immer wieder durch wie einen Film in einer Endlosschleife. Er versuchte, es zu etwas Alltäglichem zu machen, ihm die Macht zu nehmen, indem er es andauernd wiederholte. Er hatte erfahren, was er wissen musste, um möglicherweise ein Leben zu retten – aber der Preis war ein anderes Leben gewesen. Das ist nicht fair …
»Möchten Sie einen Drink?«
»Ich trinke nicht.«
Christine stand in der offenen Terrassentür. »Die Eisbeutel sind fertig.«
»Ich rauche noch zu Ende.«
Mit einem Highballglas in der Hand trat sie zu ihm. »Hier draußen ist nie ein Geräusch zu hören, wenn es sehr spät ist, nur die Glöckchen.« Sie trank einen Schluck und starrte auf die bernsteingelbe Flüssigkeit. »Bourbon. Harrys Lieblingsgesöff. Allerdings zog er das billige Zeug vor. Die Sorte, die auf dem Weg nach unten brannte.« Sie nahm auf einem Korbsessel Platz, der leise quietschte. »Er sagte, er hätte das Trinken aufgegeben. Kannten Sie ihn schon, als er noch trank?«
»Einen Abend lang. Als ich ihm einen Job anbot, machte ich zur Bedingung, dass er aufhörte.«
» Sie haben ihn dazu gebracht, mit dem Saufen aufzuhören?«
»Nein. Es war seine Entscheidung.«
Christine begann eine starke Verwirrung zu spüren. Allein in Geigers Nähe zu sein, erwies sich als desorientierend. Er wirkte wie ein Magnet, der jeden Kompass in seiner Nähe durcheinanderbringt.
»Harry hat also für Sie gearbeitet?«
»Mit mir zusammen. Wir waren Partner.«
»In welcher Branche?«
Geiger sandte eine neue Rauchwolke in die Luft. »Informationsabruf.«
Der Begriff hatte etwas an sich, das ihr eine leichte Gänsehaut über die Unterarme jagte.
»Ich weiß nicht, was das ist.«
»Klienten haben mich dafür bezahlt, dass ich ihnen Informationen von Dritten beschaffte.«
»Sie meinen – eine Art von … Recherchen?«
Geiger drehte den Kopf, damit sein Nacken knackte, und hatte Erfolg damit. »Ich habe Menschen verhört.«
»Ich verstehe noch immer nicht«, sagte sie, aber sie fürchtete, dass sie es doch begriff. Sie bemerkte nicht, dass ihr Unbehagen sie bewegte, auf dem Sessel zu rutschen, bis sie das alte Rattan knarren hörte.
Nun drehte Geiger den Kopf um zwanzig Grad nach links. Knack. »Ich habe Menschen gefoltert, um sie dazu zu bringen, mir die Wahrheit zu sagen.« Und er blinzelte. Langsam. Einmal.
Eine Woge überrollte Christines Gehirn – eine Kavallerieattacke von Substanzen, die versuchten, das Unfassbare zu begreifen.
»Sie sind ein … Folterer?«
»Nicht mehr. Ich war es.«
»Und ›Informationsabruf‹ ist nur ein anderer Name für Folter?«
»Ja. Das ist richtig.« Geiger spürte die zunehmende Hitze seiner Zigarette zwischen den Fingern, während sie herunterbrannte und sich seinem Fleisch näherte. Er schnippte sie in den dunklen Hof, nahm ein Päckchen hervor und schüttelte eine neue heraus.
»Geben Sie mir eine«, sagte Christine.
Er hielt ihr das Päckchen hin. Sein Feuerzeug flammte auf, sie beugte sich näher, und als sie kurz zu ihm hochblickte, sah Geiger, wie sich die Flamme in beiden Augen spiegelte. Es war, als sei das Feuer immer dort gewesen.
Er steckte sich selbst eine Zigarette an und ging ein paar Schritte auf den Rasen, hinaus aus dem Licht. Christine zog an der Zigarette. Sie hatte den Geschmack nie gemocht, aber das Gefühl war angenehm. Geiger war in der Schwärze ein schlanker, verschwommener Fleck mit einem winzigen, orange glühenden Punkt. Wind kam auf und ließ die Glöckchen klingeln.
»Harry hat sich um das Geschäftliche gekümmert«, sagte Geiger. »Recherche, Protokoll, Buchhaltung, die Website.«
»Website?« Sie sah zu, wie der orange Punkt aufstieg wie ein Leuchtkäfer und plötzlich greller glühte. »Mein Gott – eine Website? « Ihr Ausbruch enthielt eine Mixtur aus Erstaunen, Empörung und Anerkenntnis des Absurden. »Wie in Gottes Namen lernt man so etwas? Ich meine, gibt es da eine Schule, wo man so etwas lernt? Foltern für Anfänger?«
Geiger trat wieder ins Licht. »Es gibt in der Tat Ausbildungsprogramme. Staaten haben sie … das
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