Der Experte: Thriller (German Edition)
mit Soames verfahren sollte. Wenn er versuchte, sie zu kontaktieren, um sie vor Victors falschem Spiel zu warnen? … Er glaubte nicht, dass er ihr das am Telefon erklären konnte, und durch ein persönliches Treffen würde eine Vielzahl von Verwicklungen entstehen. Wenn er sich entschied, sie nicht zu informieren, und alleine weitermachte, endete sie mit Sicherheit als Opferlamm, ob sie Dalton stellte oder nicht. Er vermutete, dass Victor eine Klinge einer Kugel vorzog.
»Ist alles gut?«, fragte Christine.
Plötzlich roch es nach Lavendel, den ein Wind heranwehte. Er hörte die Frage wieder. Sie war nun sehr nahe.
»Ist alles gut?«
So nahe, dass die Weichheit ihrer Stimme ihm wie eine Feder vorkam, die sein Ohr kitzelte.
»Ja, Ma. Alles ist gut. Was soll ich tun?«
»Du kannst gar nichts tun, Liebling«, sagte sie. »Es gibt nichts zu tun.«
Er hatte das Herz eines Jungen, und es schlug gegen seine Rippen wie ein gefangenes Tier, das auf die Gitterstäbe seines Käfigs eindrischt.
»Alles in Ordnung?« Eine warme Hand legte sich auf seinen Unterarm. »Ist alles gut?«
Er öffnete die Augen. Christine musterte ihn mit geneigtem Kopf.
»Ich habe dreimal gefragt, ob alles okay ist. Sie haben mich nicht gehört.«
»Ich habe Sie gehört. Ich habe nur gedacht, Sie wären jemand anderes.«
Geiger sah aus wie ein müder Matrose, der aus dichtem Nebel heraus den Weg in vertraute Gewässer gefunden hat, und Christine fand, dass er der merkwürdigste und traurigste Mensch war, dem sie je begegnet war.
»Wohin soll der andere Eisbeutel?«
Geiger tippte sich unterhalb des Schultergelenks auf den Oberarm. »Hierhin.« Er nahm den Beutel und drückte ihn sich an den Deltamuskel, und Christine nahm eine zweite elastische Binde und begann, sie ihm anzulegen.
»Ich habe eine Frage«, sagte er.
»Ja?«
»Was bedeutet couchant? «
Christine verlangsamte ihre Bewegungen. »Es bedeutet Sonnenuntergang.«
»Warum haben Sie das Café Couchant genannt?«
Sie wickelte den Verband noch zwei Mal um seinen Arm und steckte das Ende fest.
»Meine Tochter und ich haben gern gemeinsam den Sonnenuntergang beobachtet. Sie tat nichts lieber.« Die fortgeschrittene Stunde und die Angst setzten ihr zu, zupften an ihr, forderten sie auf, langsamer zu machen. »Sind Sie hungrig?«, fragte sie.
Geiger nickte. Sein Blick folgte ihr, als sie in die Küche ging. Er versuchte, sie sich mit Harry und ihrer kleinen Tochter vorzustellen, wie sie in einem Zimmer saßen, im Park spazieren gingen, gemeinsam aßen … Eine Einheit, zufrieden mit ihrem Dasein. Ihm fiel es nicht schwer, Harry zu sehen, wie er ein zufriedenes, unbesorgtes Grinsen trug wie einen alten Lieblingspullover. Als Christine den Kühlschrank öffnete, bückte sie sich und verschwand hinter der metallischen Tür – und Geiger sah sein verschwommenes Spiegelbild in dem gebürsteten Stahl, die geschmolzenen Züge ohne jede Farbe und jeden Ausdruck. Die Ironie entging ihm nicht.
25
Dalton warf einen letzten Blick in das Hinterzimmer. Ihm kam es vor, als schaue er durch ein magisches Fenster in die Vergangenheit. Er schloss die Tür, schob mit Daumen und Zeigefinger den Schlüssel in das alte Schloss und drehte ihn um. Mittendrin musste er den Schlüssel anders fassen, ehe er ihn so weit drehen konnte, dass der Mechanismus klickend einrastete. Einige Handbewegungen ließen sich ohne Korrekturen noch immer nur unter Schwierigkeiten ausüben.
Er zog den Schlüssel aus dem Loch und ging über den Korridor zur Küche. Unter seinen Sohlen raunten die alten Planken. Manchmal verstand er ihre Worte … aber nicht in dieser Nacht.
Auf der Arbeitsfläche wartete ein Glas Rotwein, das er sich zuvor eingeschenkt hatte – ein mundiger Mouton aus Bordeaux, ein Mitbringsel Victors bei ihrem ersten Treffen. Er nahm es an sich und betrat durch einen dunklen Durchgang das Arbeitszimmer, schaltete das Licht ein und setzte sich an seinen Computer. Der Bildschirmschoner zeigte in großen, verzierten, dreidimensionalen silbrigen Buchstaben, die willkürlich dahinzogen, rotierten und kippten, ein einziges Wort: GEIGER.
Dalton tippte auf die Leertaste, und der Bildschirmschoner flog davon und zeigte eine Seite seiner Memoiren. Er trank einen Schluck Wein, während er die neusten Zeilen las.
Kapitel 27
Manchmal habe ich mich gefühlt wie ein Reporter, der in der Vergangenheit eines Fremden wühlt, doch ich habe alle berichtet – jedes Verhör, vom ersten in Nicaragua 1986 bis zum
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