Der Experte: Thriller (German Edition)
schon.« Er hielt den Zettel hoch, den Bruno ihm gegeben hatte. »Vom Taxifahrer. Auf Französisch.«
Er reichte Victor das Papier und wartete, während dessen Blick es überflog, beobachtete ihn beim Lesen. Die Augen bewegten sich minimal – und senkrecht, nicht horizontal. Er überflog Informationen, die er bereits besaß.
»Sind Sie je dort gewesen, Victor?«
»In Tulette? Nein. Ich habe allerdings davon gehört.«
Geiger war sicher, dass der Tell, wie man ein verräterisches Zeichen beim Kartenspiel nannte, bald kommen würde.
Victor hob die Hand, und sein Daumennagel fuhr an dem Spalt in seinem Kinn auf und ab. »Recht klein; ich glaube, sie machen dort einen ganz anständigen Wein. In der Provence gibt es viele ähnliche kleine Ortschaften.«
»Fahren wir«, sagte Zanni. Sie stieg wieder in den Wagen und schloss die Tür. Victor hielt Geiger die Beifahrertür auf.
»Bleiben Sie ruhig vorn, Victor. Ich setze mich nach hinten.«
Victor nickte. »Gewiss«, sagte er, schnippte seine Zigarette weg und setzte sich neben Zanni.
Geiger nahm seine Tasche, rutschte in die Mitte der Rückbank und holte sein iPad hervor. Auf dem Bildschirm war eine Google-Karte der Provence, in der die Route von Avignon nach Tulette violett markiert war. Er beugte sich vor und reichte Victor das Gerät.
»Das ist der Weg. Eine knappe Stunde Fahrt. Das Satellitenbild von dem, was ich für das Haus halte, ist markiert.«
»Ausgezeichnet«, sagte Victor.
Geiger reichte Zanni Daltons Brief und die Schnupftabakdose. »Das war in dem Schließfach am Bahnhof.«
Zanni las den Brief, reichte ihn Victor und musterte Daltons Geschenk. »Eine Schnupftabakdose. Wie clever.« Sie öffnete sie und musterte den Inhalt. »Usus?«
»Latein. Es bedeutet Erfahrung«, sagte Geiger. »Wir haben uns über das Thema unterhalten, als er an mir arbeitete. Es ist unsere gemeinsame Verbindung, wenn Sie so wollen.«
»Können wir darüber reden, wie Sie die Sache sehen?«, fragte Zanni. »Was Sie denken?«
»Ich muss erst ein wenig schlafen. Zwanzig Minuten.«
Geiger lehnte sich zurück und schloss die Augen. Zanni runzelte die Stirn, setzte die Sonnenbrille auf, vollführte ein perfektes Wendemanöver und fuhr zur Straße.
Er roch ihren Lavendelduft.
Weder schlief er, noch wäre es nötig gewesen. Er hatte sich nur aus dem Dreiergespräch ausklinken wollen und darauf gehofft, eine Weile den Ton des Dialogs zwischen Zanni und Victor studieren zu können. Doch sie sprachen nur wenig miteinander. Er öffnete die Augen.
»Haben Sie sich das Satellitenbild angesehen?«
»Ja«, sagte Zanni. »Keine anderen Häuser in der Nähe. Großes Plus.«
Sie waren auf einer zweispurigen Straße, die ein winziges Dorf durchschnitt – ein kleines Café, eine Bäckerei, ein einziges schmales Sträßchen zum Wenden mit einem Dutzend einstöckiger Häuser in verblassten Pastellfarben. In weniger als einer Minute lag es hinter ihnen.
»Ich habe mir Folgendes überlegt«, sagte Geiger. »Wir fahren den Hügel hoch zu dem Haus, halten außer Sicht, lassen den Wagen zurück und suchen uns zu Fuß einen höher gelegenen Blickpunkt an der Kuppe. Von dort beobachten wir das Haus, schauen, ob jemand hineingeht oder herauskommt, und vielleicht sehen wir drinnen Bewegungen.«
Vor ihnen schufen die Platanen zu beiden Seiten der Straße einen Tunnel über der Straße; ihre Äste neigten sich über die Fahrbahn und verflochten sich in der Höhe zu einem Spitzbogen.
»Dann sehe ich zwei Möglichkeiten. Ich gehe allein hinein – und Sie folgen mir zu einem späteren Zeitpunkt. Oder wir gehen zusammen. Ich kenne das Innere des Hauses nicht, daher gehen wir nicht nachts, sondern warten bis morgen früh zum Sonnenaufgang. Wie auch immer – der Grund für mein Hiersein sind Harry und Matheson. Ich weiß, dass Ihre Aufgabe darin besteht, Dalton zu fassen. Aber ich bin nur an ihrem Überleben interessiert.« Er hob die Hand ans Kinn, um sich den Bart zu kratzen, und bemerkte, dass er nicht da war. »Und was meinen Sie?«
Im Rückspiegel traf er auf Zannis Blick – ihre Mienen glichen Bilderrahmen mit leeren Leinwänden.
»Wenn Sie allein hineingehen, setzen Sie die Pläne, die er für Sie hat, in Gang. Egal, was es ist – ob er nur bei einer Flasche Bordeaux mit Ihnen fachsimpeln oder ausprobieren will, wie viel Sushi er aus Ihnen machen kann. Ich weiß nicht. Wenn wir zusammen hineingehen, sind die Vorteile Lehrbuchwissen: mehr abgesuchte Fläche pro Zeit, mehr
Weitere Kostenlose Bücher