Der Experte: Thriller (German Edition)
armen Leuten Überstunden.«
Der Portier blickte müde auf – und sah, wie das Licht für das Kellergeschoss über dem Aufzug aufleuchtete. Seine Stirn wurde zu einem Feld aus Falten.
Auf der Gasse lehnte Dewey an der Motorhaube des Kastenwagens. Der Motor lief, und er mochte das Gefühl der Vibration an seinem unteren Rücken. Seit der Sprengfalle auf der Straße von Kandahar war er nicht mehr wie früher. Man hatte ihm gesagt, er müsse zwei Wochen im Streckverband liegen, aber nach drei Tagen hatte er begonnen, sich Sorgen zu machen, die Kameraden, die es schlimmer getroffen hatte, könnten ihn für ein Weichei halten. Außerdem machte ihn das Nichtstun rasend. Daher sagte er, er wolle wieder hinaus.
Der Seiteneingang des Hotels war durch ein Stahlrolltor geschlossen. Er hatte es mit WD-40 eingesprüht, damit es möglichst wenig Lärm machte, wenn es sich zu heben begann. Victor kam heraus und schob den Wagen.
»Bewegung.«
Dewey nickte, doch ihm fiel eine Bewegung im Kellergeschoss auf. »Victor!«
»Eh! Attendez!« ,rief eine Stimme. Victor fuhr herum und schlug dem Nachtportier die Faust gegen die Kehle – zwei harte, rasche, linkshändige kurze Geraden. Der Portier gab einen einzigen rauen, erstickten Laut von sich – wie eine Katze, die versucht, einen Haarball hervorzuwürgen –, aber ihm blieb nicht einmal die Zeit, die Hände zu heben, ehe er wie ein Sack Knochen auf dem Boden zusammenbrach.
Dewey starrte den Mann an. Die Härchen in seinem Nacken hatten sich aufgestellt. Es hatte so cool ausgesehen. Wie im Kino.
»Bewegung, Dewey«, sagte Victor, bückte sich, packte den Portier unter den Achselhöhlen und zerrte ihn zurück in den Keller.
Dewey schob den Wagen zur Rückseite des Vans und öffnete die Türen. Harry lag reglos da. Silbriges Klebeband bedeckte Augen und Mund und fesselte Fuß- und Handgelenke. Dewey schob die Bettlaken beiseite, packte Matheson, der genauso verschnürt war, hob ihn heraus und legte ihn neben Harry. Er schloss die Tür und stieg auf den Fahrersitz, dann spulte er die kurze Szene entschlossener, cooler Gewalt noch einmal vor seinem inneren Auge ab. Victor drehte sich um, ließ die Linke hervorspringen – ZACK! ZACK! –, und der Kerl ging zu Boden … Die Perfektion.
Victor kam aus dem Hotel und musterte stirnrunzelnd den Kastenwagen. Er ging um das Fahrzeug herum und stieg an der Beifahrerseite ein.
»Sie hätten rückwärts reinfahren sollen«, sagte er.
»Was?«
»Den Van. Sie fahren rückwärts hinein, wenn Zeit noch keine Rolle spielt – damit Sie nicht rückwärts rausfahren müssen, wenn die Zeit drängt. Dummer Anfängerfehler. Fahren Sie.«
Dewey duckte sich wie ein gescholtener Schuljunge. »Sie haben recht. Tut mir leid.« Er legte den Gang ein und setzte mit dem Können eines Profis zurück in die Gasse, bog gekonnt auf die Straße ein und fuhr bergan zur Rue de Rennes. »Nur damit Sie’s wissen: Ich hätte da mit geschlossenen Augen und hundertvierzig Sachen rückwärts raussetzen können, wenn ich gemusst hätte.«
»Ich verstehe, Dewey. Aber Ihnen ist klar, dass es darum nicht geht.«
»Ja. Tu ich.« Dewey hielt an der roten Ampel. Victor nahm sein goldenes Feuerzeug heraus und rieb einen kleinen Fleck ab. Lausanne, 1994, ein Tabakgeschäft am Grand Pont … der Waffenhändler aus Südafrika, auf einem Parkplatz ergriffen und der NIA übergeben. Er zündete sich eine Zigarette an, ließ seine Fensterscheibe herunter und blickte hinaus. In einem der zahllosen Apartments in der Nähe spielte jemand sehr laut Hey Jude.
Dewey beobachtete, wie Victor die Finger seiner linken Hand mehrmals spannte und streckte. »Er hat den Van gesehen«, sagte Dewey. »Ruft er nicht die Polizei, wenn er aufwacht?«
Victor sog den Rauch tief ein. »Er wird nicht mehr aufwachen.«
In Deweys Gehirn machte es plötzlich »Ping«, als hätte ein Sonarimpuls etwas Massives geortet, unsichtbar, aber sehr nahe. Dass es Tote geben könnte, davon war keine Rede gewesen. Er hatte bisher vier Einsätze gehabt. Niemand war gestorben.
»Grün«, sagte Victor.
Dewey trat aufs Gas und bog nach links, nach Süden. In der Luft hing Regen, doch er hielt sich zurück und wartete.
»Frage«, sagte Dewey.
Victor seufzte und wandte sich ihm zu. »Bitte.«
»Wieso der Adamsapfel? Kein leichtes Ziel. Wieso ihm nicht eins ins Gesicht schmettern?«
»Weil man sich dabei leichter die Hand bricht.«
Dewey nickte. »Verstanden.« Er lehnte sich zurück und ließ seine
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