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Der Experte: Thriller (German Edition)

Der Experte: Thriller (German Edition)

Titel: Der Experte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Allen Smith
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kennengelernt hatte. Ein Mischmasch aus widersprüchlichen und unerklärbaren Eigenschaften, ein emotionales Frankenstein-Monster – als hätte ein irrer Psychochirurg die Gefühle unterschiedlicher Menschen genommen und sie in Geigers Kopf zusammengenäht. Und jetzt … Was geschah jetzt? Der Blick des Jungen fiel auf die nächste Zeile des Briefes. Ihre kalte, stumpfe Gewalt traf ihn und ließ ihn wieder frösteln. Ich möchte nicht, dass Du denkst, einer von uns hätte Dich im Stich gelassen. Einen Augenblick lang war er wieder unter Wasser, im schwarzen, blinden Strudel des Flusses, und fremde Hände zerrten an ihm. Dann hatte ihn jemand losgerissen und zur Oberfläche gedrückt, ins Leben. Eine Träne fiel auf das Papier.
    Geiger beobachtete, wie Ezra den Brief in den Umschlag zurücksteckte und aufstand. Der Junge schaute sich nicht erneut auf der Straße um, sondern machte kehrt, öffnete die Haustür und ging wieder hinein. Als Geiger sicher war, dass Ezra nicht zurückkehrte, verließ er seinen Platz und ging davon.
    Wer mit Carmine Delanotte zu tun hatte, wusste höchstwahrscheinlich, dass sein Arzt ihn vor fünfzehn Jahren dazu gebracht hatte, mit dem Rauchen aufzuhören. Wer ihm sehr nahestand, wusste auch, dass ihn die Versuchung noch immer lockte und er große Anstrengungen unternahm, um den Sirenenruf zu dämpfen. Dazu gehörte auch, dass niemand in seiner Gegenwart, seinem Restaurant, seinen Häusern und seinem Cadillac rauchen durfte.
    Geiger kannte Rollie, seinen Fahrer, als Kettenraucher. Wenn Rollie einen Block vom La Bella Ristorante entfernt in der schwarzen CTS-V-Limousine mit den getönten, kugelsicheren Scheiben wartete, stieg er zwei Dutzend Mal pro Schicht auf eine Zigarette aus. Da Geiger häufig dabei gewesen war, wenn Carmine Eddie befahl, den Wagen vorfahren zu lassen, und Eddie die Anweisung per Nextel-Funkgerät weitergab, hatte er oft Rollies mit rauer Stimme gesprochene Antwort gehört. Jedes Mal die gleichen vier Wörter. Geiger wusste auch, dass Carmine mit Eddie herauskam, wenn er nach Hause aufbrach. Eddie öffnete die Fondtür auf der Beifahrerseite und trat zur Seite, während Carmine einstieg, dann schloss er die Tür, ging um das Heck des Wagens herum auf die Fahrerseite und setzte sich hinten neben den Boss.
    Geiger wusste mehr als genug, um zu tun, was er tun musste. Das Letzte, was Carmine zu ihm gesagt hatte, vor neun Monaten, ehe er ihn verriet, war: »Man gehört dem Leben – vom ersten Tag an, von der Wiege bis zum Grab. Sie kapieren es nicht, Geiger. Sie glauben, Sie könnten sich aussuchen, ob Sie drin sind oder nicht, aber da irren Sie sich! Falls Sie hier lebend davonkommen, sollten Sie das nie vergessen.« Und Geiger hatte es nicht vergessen.
    Die Mulberry Street war verschlafen. Der Cadillac parkte neben einem Spirituosengeschäft, das schon vor Stunden geschlossen hatte. Die Fahrertür ging auf, Rollie schwang die Beine heraus, und als er beinahe aufrecht stand, eine unangezündete Zigarette zwischen den Lippen, wurde die Tür zugeschlagen und klemmte ihn an Waden und Hals ein. Er brachte ein entsetztes Gurgeln hervor, ehe ein Ellbogen gegen seine Schläfe prallte, seine Chauffeursmütze davonflog und das Licht in seinen Augen erlosch.
    Carmine trank seinen doppelten Espresso aus, lehnte sich zurück und zeichnete mit dem Fingernagel Linien aufs Tischtuch. Der Wildbrokkoli hatte nicht frisch geschmeckt. Morgen würde er einen Anruf tätigen und Dampf machen. Er nahm seine Ausgabe des Wall Street Journal .
    »Eddie … Es wird Zeit.«
    Der Mann im schwarzen Anzug, der hinter Carmine stand, löste die Hände, die er vor dem Gürtelschloss verschränkt hatte, voneinander und holte ein Nextel heraus. »Rollie, fahr den Wagen vor.«
    Die raue Stimme drang knisternd aus dem Funkgerät. »Bin schon unterwegs, Boss.«
    Carmines dunkelblaue Augen warfen einen letzten Blick durch das elegante, geleerte Restaurant, dann erhob er sich mit einem kehligen Ächzen von seinem Stuhl.
    »Verflixt … Wie alt bin ich, Eddie?«
    »Weiß ich nicht, Boss.« Eddies Gesicht blieb eine Totenmaske. »Ich hab den Überblick verloren.«
    Carmine lachte leise und schüttelte den Kopf wie ein Mann, der viele bemerkenswerte, schreckliche Dinge getan hat – und sich an alle erinnert. Er war sich der sanften Müdigkeit bewusst, die sich jeden Tag ein bisschen mehr auf ihn senkte. Die aus bösen Taten geborene Klugheit ist eine kalte, grimmige Gefährtin, doch er hielt sie trotzdem

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