Der Facebook-Killer
Kahn, und seine Gedanken schweiften ab. ‚Manet‘, dachte er, ‚der Mann, der immer von sich behauptet hatte, er könne nicht nach unten in die Pathologie gehen, weil ihm sonst auf der Stelle schlecht würde. Der lieber im Büro geblieben war, hinter seiner Monitorphalanx verschanzt, und im Internet auf Beutefang gegangen war. In seiner virtuellen Welt. ‚Nein‘, befand Mafro, ‚er durfte auf keinen Fall zulassen, dass der Chef ihn von diesem Fall abzog. Geza Wolf sollte ihn nicht umsonst aus diesem tiefen, schwarzen Loch wieder zurück ans Tageslicht gezerrt haben. Er hatte ihr noch gar nicht gesagt, wie dankbar er ihr war …‘
Er versuchte, sich auf Bavarois zu konzentrieren, aber die Erschöpfung, die weit über das Körperliche hinausging und sich in seinem Gemüt niederschlug, machte es ihm schwer.
„Hätten wir versuchen sollen, den Fernsehauftritt der Eltern zu verhindern?“, fragte er seinen Chef. Dabei strich er sich müde mit der Hand übers Gesicht. Zoës Vater hatte öffentlich geweint … das hätte Mafro vorher nie für möglich gehalten.
„Sie klammern sich an jeden Strohhalm“, antwortete Bavarois. „Und Monsieur Ionesco ist wohlhabend. Ich glaube, ich hätte an seiner Stelle dasselbe getan.“
Mafro nickte. Er war ziemlich sicher, dass Zoës Eltern wirklich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hätten, um praktisch jede erdenkliche Summe für die Freilassung ihrer Tochter locker zu machen – aber Manet ging es nicht um Geld.
„Was glauben Sie, wie lange das gedauert hat?“, wechselte Mafro das Thema und schob die Tatortfotos mit Danielle Kahns zerschlagenem Leib halb über den Tisch. Er quälte sich seit dem Tag des Leichenfundes mit dieser Frage herum. Er versuchte abzuschätzen, wie irre, wie sadistisch der Mann, den sie jagten, wirklich war. „Raphael schreibt, nur die wenigsten Verletzungen seien nach dem Tode entstanden.“
„Ich hab’s gelesen“, entgegnete Bavarois.
Mafro rieb sich die Augen.
„Ich entziehe Ihnen den Fall, Mafro“, sagte sein Chef ruhig.
Mit einem Schlag war Mafro hellwach. „Chef, das geht nicht!“
Bavarois verzog keine Miene. „Ich brauche einen Rechercheur, der gut am Rechner ist. Wir müssen nicht nur Manets Wegfall kompensieren, wir müssen besser sein als er. Bis auf Weiteres keine Außeneinsätze mehr für Sie – kleben Sie Ihren Arsch hier im Büro hinter einen Rechner.“ Er erhob sich. „Wir fahren da jetzt ohne Sie hin. Ich brauche hier jemanden, der von der Zentrale aus koordiniert.“
Mafro hatte das Gefühl zu ersticken. „Das können Sie nicht machen. Nehmen Sie mich mit!“ Er klang gedrückt und flehend zugleich.
„Ich kann und ich werde.“ Bavarois schob Danielle Kahns Fotos wieder zu ihm zurück. „Sie bleiben im Büro. Ich nehme Khalil und Frau Wolf mit raus. Wir werden ständigen Funkkontakt haben.“
„Bitte nicht!“ Es fiel ihm schwer, aber Mafro bettelte regelrecht. Hier ging es um Zoë und um den Mörder Kyls – wie konnte er da im Büro sitzen und warten, was bei dem Außeneinsatz herauskam? „Ich bin von Anfang an dabei. Ich kenne diesen Fall in- und auswendig …“
„Das mag sein, aber ich kenne Sie.“ Mafro widerstand dem Impuls, seinem Chef, der nach wie vor völlig gelassen klang, ins blasse Gesicht zu springen. Bavarois sah ihn ausdruckslos an. „Sie haben die Wahl: Koordinieren Sie von hier, oder ich entziehe Ihnen den Fall komplett.“
Mafro riss sich zusammen. Er würde nicht ausfallend werden. Das hätte Bavarois in seiner Meinung nur noch bestätigt. „Sie haben mir und Kyl diesen Fall übertragen“, begann er erneut. Die Jagd nach dem Mörder Nadine Weills – denn damals hatten sie diese Sache ja noch als Einzelfall gesehen – hätte Kyls Chance sein sollen, sich Bavarois zu beweisen. „Was damals wahr war, stimmt heute auch noch: Es gibt keinen besseren Ermittler in dieser Sache als mich.“
„Der Außeneinsatz läuft ohne Sie, Commissaire Fronzac“, stieg der Chef auf seinen förmlicher gewordenen Tonfall ein. „Das ist mein letztes Wort.“
Dieser Satz war wie ein Hieb in Mafros Magengrube. „Haben Sie Angst, ich könnte einen Fehler machen, weil es um Zoë geht?“ Vor so etwas war kein Polizist gefeit. Aber Mafro war abgebrüht. „Madame Wolf ist seit mehreren Jahren nicht mehr im Polizeidienst und hat meines Wissens keinerlei Erfahrung in solchen Vor-Ort-Situationen. Verdammt noch mal, warum nehmen Sie sie mit und nicht mich?“
„Nein, ich habe keine Angst, Sie
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