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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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im Mai 1884. Elf Monate später, am 14. Juli 1885, kam ihr einziger Sohn zur Welt, den sie auf den Namen Emile junior tauften.

    *

    Dem Ausländerverzeichnis der Stadt Marseille ist zu entnehmen, dass Laura d’Oriano am 12. Juli 1930 aus Paris zurückkehrte und wieder Wohnsitz bei den Eltern am Quai du Port nahm. Sie war neunzehn Jahre alt. Zweiundzwanzig Monate waren vergangen, seit sie ihren Koffer zum Bahnhof Saint-Charles getragen hatte. Er enthielt nun ganz andere Sachen als damals, die zweiundzwanzig Monate waren eine lange Zeit gewesen. Sie las andere Bücher und rauchte eine andere Zigarettenmarke, ihre Haarbürste war eine andere, das Gesichtspuder war neu und der Lidschatten und das Parfüm auch. Und ihre Kleider waren sowieso ganz andere als jene, welche noch die Mutter für sie gekauft hatte.
    Nur ihr Koffer war derselbe geblieben. Es war ein teurer schweinslederner Handkoffer bester Qualität mit Messingbeschlägen und Aufklebern großer Hotels in Kairo, Bagdad und Beirut. Sein Leder war stockfleckig und verschrammt vom vielen Gebrauch, aber dunkel geadelt durch viele Jahre sorgfältiger Pflege, und die Scharniere waren gut geschmiert und das Seidenfutteral vielfach ersetzt worden. Lauras Mutter hatte immer auf erstklassigem Gepäck für die ganze Familie bestanden, weil es auf Reisen nichts Ärgerlicheres gebe als zerborstene Kofferdeckel, abgerissene Griffe oder gebrochene Scharniere. Man könne und müsse unterwegs auf vieles verzichten, pflegte sie zu sagen, aber nicht auf anständiges Handgepäck. Wer so viel unterwegs sei wie die d’Orianos, müsse sich auf seine Koffer verlassen können. Schließlich würden auch die Nomaden Arabiens sich nicht mit zweitklassigen Kamelen in die Wüste wagen, und die Cheyenne-Indianer hätten immer nur die schnellsten und ausdauerndsten Ponys am Leben gelassen, alle anderen aber zu Trockenfleisch verarbeitet.
    Laura hatte diesen Koffer seit frühester Kindheit durch die Welt getragen, der Traggriff hatte sich über die Jahre perfekt in ihre Hand geschmiegt. Er duftete außen dezent nach Juchtenfett und innen nach Kölnisch Wasser, und an den hochstaplerischen Effekt, der von ihm ausging, hatte sie sich längst gewöhnt. Vor der Abfahrt aus Paris war es wieder einmal geschehen, dass der Kofferträger das edle Stück in die erste Klasse statt in die dritte trug und von Laura ein Trinkgeld erwartete, das sie nicht aufbringen konnte. Und als der Koffer endlich in der dritten Klasse über ihrem Sitzplatz im Gepäcknetz lag, hatte sie sich vielsagende Blicke von den Mitreisenden gefallen lassen müssen, die das aristokratische Gepäckstück mit dem bescheidenen Äußeren des Mädchens verglichen und aus der Diskrepanz ehrenrührige Schlüsse zogen.
    Nach der Ankunft in Marseille hievte sie ihren Koffer aus dem Gepäcknetz und wies alle Träger ab. Sie war allein zum Bahnhof gegangen vor zweiundzwanzig Monaten, jetzt würde sie auch allein an den Hafen zurückkehren. Deswegen hatte sie auch den Eltern den Tag und die Stunde ihrer Rückkehr nicht angekündigt.
    Vermutlich bezog sie wieder ihr altes Mädchenzimmer im zweiten Obergeschoss, das einen schönen Ausblick auf das Hafenbecken bot, und besorgte für die Eltern wieder den Abwasch und den Einkauf und half im Laden aus. Es war aber doch nicht alles beim Alten geblieben während ihrer Abwesenheit. Lauras Geschwister waren ausgeflogen. Die Brüder arbeiteten als Bürogehilfen in Cannes und verjubelten sonntags ihre Lehrlingslöhne in Monte Carlo, und die zwei Schwestern besuchten eine Schule für höhere Töchter in Nizza und hielten auf der Strandpromenade Ausschau nach russischen Prinzen. Da der Kinderlärm verstummt war, blieb auch die tägliche Kakophonie elterlicher Ermahnungen, Drohungen und Schimpftiraden aus. In der Stille, die sich im Haus breitmachte, gingen die drei Übriggebliebenen leise und schonungsvoll aneinander vorbei.
    Der Vater litt an seinen Leberschmerzen und an der ungewohnten Monotonie des sesshaften Lebens, zu dem ihn die chronische Geldknappheit zwang; er konnte sich nicht daran gewöhnen, jeden Morgen im selben Bett aufzuwachen und vor den immer gleichen Kaffeehäusern des Vieux Port die immer gleichen Plaudereien der immer gleichen Stammgäste anzuhören. Die Mutter ihrerseits war froh, dass das Vagabundieren ein Ende hatte. Aber an den stillen Abenden, wenn die Wanduhr tickte und ihr Gatte mit einem halbvollen Glas Brandy in der Hand eingeschlafen war, wünschte sie sich doch das

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