Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
Lehrers Niels Bohr lustig und erwähnte beiläufig, dass er selber ein paar ziemlich komplexe Molekularberechnungen angestellt habe, die man allenfalls mit Ultraviolett-Spektroskopie überprüfen könnte.
Felix hatte zwar noch keine gefestigte Vorstellung von Atommodellen und wusste auch nicht, was er sich unter Molekularberechnungen und Ultraviolett-Spektroskopie vorzustellen hatte. Aber er ahnte, dass hier eine schöne Eisscholle an ihm vorübertrieb, die zu entern sich lohnen könnte. Also fragte er den Dänen, was das für Berechnungen seien und wie sich diese experimentell überprüfen ließen, worauf dieser eine Abschrift seiner Arbeit aus dem Rucksack zog. Felix legte seine Bratwurst beiseite und las die Arbeit durch. Sie umfasste fünf Seiten in einem Quartheft. Er war weit davon entfernt, den Inhalt in seiner Gesamtheit zu erfassen, begriff aber immerhin der Spur nach, worum es ging. Felix Bloch ahnte, dass dies genau die richtige Aufgabe für ihn war – überschaubar in der Größe, aber nicht bedeutungslos.
Auf der Rückfahrt nach Zürich im Postauto fasste er sich ein Herz und fragte den Dänen, ob er die Arbeit abschreiben und selber den experimentellen Nachweis versuchen dürfte. Darauf fragte ihn der Däne mit spöttischem Seitenblick, ob er denn einen Spektrographen zur Hand habe. Leider nein, antwortete Felix. Das habe er sich gedacht, sagte der Däne, so ein Gerät finde sich seines Wissens nirgendwo zwischen Rom und Kopenhagen.
Am folgenden Montag trug Felix die Arbeit zu Paul Scherrer, seinem Professor für Experimentalphysik. Dieser las sie aufmerksam durch, strich sich beifällig übers Kinn und reichte sie ihm zurück mit der Bemerkung, dass man für den experimentellen Nachweis einen Spektrographen brauche. Das sei ihm bekannt, sagte Felix, darin liege ja die Schwierigkeit. Darauf nahm der Professor einige Quarzprismen aus der Schreibtischschublade, ging ans Fenster und hielt sie ins Sonnenlicht, worauf sich alle Farben des Regenbogens auf den Fußboden ergossen. Die zwei Männer standen schweigend beisammen und betrachteten das Schauspiel, bis der Professor die Prismen aus dem Sonnenlicht nahm und der Regenbogen erlosch.
Wenn Sie wollen, können Sie sich Ihren eigenen Spektrographen basteln, sagte er. Haben Sie Ausdauer?
Die folgenden zehn Monate verbrachte Felix Bloch in einem fensterlosen Kellerraum im zweiten Untergeschoss des ETH -Hauptgebäudes. Er verließ frühmorgens die elterliche Wohnung und kehrte spätabends zurück, und in den Stunden dazwischen stieg er immer nur kurz aus dem Keller, um eine Vorlesung zu besuchen oder über die Aussichtsterrasse zu spazieren und seine Augen nicht ganz vom Tageslicht zu entwöhnen. Er rasierte sich nur noch einmal wöchentlich und ernährte sich von Schwarzbrot und Trockenfeigen, und im Übrigen gab er sich ganz seiner Bastelarbeit hin.
Er schraubte seine Prismen auf messingene Halterungen und bastelte aus Kupferblech kleine Blenden für seine Bleidampflampe. Er ging ins Kaufhaus und kaufte dutzendweise Schminkspiegel, schabte winzige Löcher unterschiedlichen Durchmessers in deren Silberschicht und bedeckte diese mit Gold-, Silber- oder Aluminiumfolie. Er kaufte auf dem Flohmarkt alte Ferngläser, zerlegte sie in ihre Einzelteile und stellte die Linsen zwischen die Lampe und die Prismen, um das Licht zu bündeln. Er züchtete Salzkristalle, stellte diese in den Lichtstrahl und beobachtete, wie sich der Lichtstrahl in einen Regenbogen auffächerte. Wenn eine Farbe im Regenbogen fehlte, notierte er das und erhitzte den Salzkristall um zehn Grad Celsius. Wenn dann eine andere Farbe im Regenbogen fehlte, notierte er auch das und erhitzte den Kristall um weitere zehn Grad.
Woche um Woche, Monat um Monat verbrachte Felix so im dunklen Keller. Je mehr Daten er sammelte, desto offensichtlicher wurde, dass seine Resultate tatsächlich mit den Voraussagen des Dänen übereinstimmten. Und je klarer Felix wurde, dass hier wiederum ein zuvor gedachter Gedanke seine Entsprechung in der Welt der Dinge fand wie damals, als er die Dauer eines Herbsttags in Zürich vorausberechnet hatte, desto mehr wuchs in ihm der Glaube, dass die Regenbogenfarben an seiner Kellerwand tatsächlich ein sichtbarer Widerschein der Atome waren.
Als der Frühling zurückkehrte, nahm er seine Wanderungen mit Fritz London und Walter Heitler wieder auf und machte eine neue Erfahrung: Diesmal war er es, der beim Aufstieg zum Gipfel leichthin plauderte, während die anderen ihm
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