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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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keuchend zu folgen versuchten. Felix sprach über Frequenzen und Absorptionen und Impulse, Streuungen und Amplituden, und wenn seine Freunde nachfragten, stand er ihnen Rede und Antwort mit der Souveränität eines Experten, der sein Fachgebiet beherrschte wie vielleicht kein Zweiter auf der Welt.

Viertes Kapitel

    Wie nicht anders zu erwarten war, blieb Emile Gilliéron senior nicht nur ein paar Monate in Griechenland, sondern sehr viel länger. Zwar bekam er schon nach wenigen Wochen Heimweh, als ihm der orientalische Charme seiner neuen Heimat schal geworden war und er sich zu ärgern begann über die bäurische Grobheit der Griechen, ihre dumpfe Popengläubigkeit und den provinziellen Mief ihrer Hauptstadt, die ihn in vielem an sein Heimatstädtchen Villeneuve erinnerte. An einsamen Abenden setzte er sich mit einer Flasche Rotwein auf die Terrasse des »Hotel d’Angleterre«, betrachtete im schwindenden Licht des Tages die Akropolis und träumte von seinem Häuschen am Genfersee, das er schon bald in einer einsamen kleinen Bucht ein paar hundert Meter abseits des Hafens bauen würde. Wenn die Flasche leer war, öffnete er manchmal eine zweite, und wenn auch die leer war, fasste er meist den Vorsatz, gleich am nächsten Tag einen Brief nach Villeneuve zu schreiben und jenen kinderlosen alten Fischer, dem das Land in der Bucht gehörte, um den Verkauf eines Stücks Baugrund zu bitten.
    Aber wenn er am folgenden Morgen mit wollenem Kopf beim Frühstückskaffee saß, schrieb er den Brief dann doch nie. Erstens würde der Fischer ihm das Land nicht verkaufen, weil kein Bürger von Villeneuve jemals Land verkaufte, falls nicht Gott, der Schah von Persien oder der Betreibungsbeamte von Lausanne ihm das Messer an den Hals setzte. Zweitens würden die Bürger von Villeneuve ihm den Bau des Häuschens niemals bewilligen, weil sie ja sonst sein Atelier nicht hätten niederbrennen müssen. Und drittens würden sie ihn so lange nicht als einen der Ihren willkommen heißen, als er noch blaue Jacken im Gepäck hatte. Oder womöglich gelbe. Es sei denn, in den Jackentaschen steckte Geld. Sehr viel Geld. Und dieses Geld, das war Emile klar, konnte nur von Schliemann kommen.
    Um sich das Geld zu beschaffen, begleitete Emile seinen Dienstherrn nach Troja und Mykene. Seine Zeichnungen waren um ein Vielfaches lesbarer und verständlicher als die nebligen Fotografien, die Schliemanns Hausfotograf mit seinem Holzkasten und seinen Glasplatten anfertigte. Und im Unterschied zum Fotografen war Emile auch in der Lage, Dinge abzubilden, die gar nicht da waren. Wenn Schliemann es wünschte, füllte er blinde Flecken auf Wandmalereien aus, ergänzte schadhafte Götterstatuen um abgebrochene Gliedmaßen oder vervollständigte einzelne Tonscherben zu prachtvollen Vasen.
    Emile hatte den reichen Preußen vom ersten Tag an in der Hand. Schliemann konnte und wollte nicht mehr auf seine Dienste verzichten, weil er ein schneller, gewissenhafter und zuverlässiger Zeichner war, der jede Statuette, jede Münze und jede Vase mit großer Detailschärfe wiederzugeben verstand. Aber das war nicht das Wichtigste. Was Emile vor den Scharen der anderen Kunststudenten auszeichnete, die in panhellenistischer Euphorie aus ganz Europa nach Athen geströmt waren, um im klassischen Altertum ein Auskommen zu finden, war sein sicheres Gespür für Schliemanns Wünsche, die er besser durchschaute als jener selbst. Er durchschaute dessen Schwäche für goldenen Glitzerkram und seine Ablehnung des Profanen, und er verstand, dass Schliemanns herrischer Charakter keine ungelösten Rätsel ertrug. Also ließ Emile aus jeder namenlosen Bartspitze das Antlitz des Poseidon erstehen, und ein Tongefäß mit Asche blieb nicht einfach eine Urne, sondern wurde mindestens zur Ruhestätte des Agamemnon. Oder der Penelope. Wenn nicht gar des Theseus.
    Alle Herrlichkeiten des Altertums ließ Gilliéron in genau jener Unversehrtheit auferstehen, die Schliemann sich erträumt hätte, wenn er über die erforderliche Phantasie verfügt hätte. So wuchsen die beiden zu einem eingespielten Team zusammen. Was Schliemann mit seiner unnachgiebigen Beharrlichkeit ausgraben ließ, erweckte Gilliéron mit seiner spielerischen Vorstellungskraft zum Leben. Und falls es so gewesen sein sollte, dass Schliemann den zutage geförderten Glitzerkram vorgängig hatte vergraben lassen, so wollte Gilliéron das nicht wissen.
    Schliemann wusste es zu schätzen, dass Gilliéron ihn nicht mit unerwünschten

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