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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Das orientalisch anmutende Gewimmel am Hafen erinnerte sie an unbeschwerte Kindheitstage in Smyrna oder Damaskus, hier hörte sie an einem Tag mehr Gelächter als in Paris während eines Jahres. Zwar war auch hier der Lebenskampf hart, jeden Morgen fuhr das Pferdefuhrwerk der Morgue durchs Quartier und sammelte die Unglücklichen ein, die nachts einsam und ohne Beistand in einem Hinterhof, auf einer Kellertreppe oder hinter irgendwelchen Bretterstapeln am Ende ihres Weges angelangt waren. Aber solange die Unglücklichen noch halbwegs auf den Beinen und kräftig genug gewesen waren, sich auf eigene Faust ihren täglichen Kanten Brot und ein trockenes Schlafplätzchen zu beschaffen, hatte die alte Hafenstadt sie milde geduldet wie alteingesessene Einheimische.
    Laura kannte nun alle Bewohner des Viertels und grüßte nach links und rechts, wenn sie Croissants fürs Frühstück holte; und abends, wenn die Mauern von der Wärme der untergegangenen Sonne glühten, saß sie oft bis lange nach Mitternacht draußen vor dem Laden im Licht der Straßenlaterne, rauchte ihre Zigaretten und freute sich, wenn Freunde aus dem Quartier sich zu ihr setzten. Die Kellner der umliegenden Bistros verbrachten ihre Zigarettenpausen mit ihr, der Austernhändler schenkte ihr im Vorbeigehen ein halbes Dutzend. Manchmal kamen Schulbuben dahergeschlendert und baten sie kühn um Feuer für ihre gestohlenen Zigaretten, und abends setzten sich die Nutten zu ihr, lagerten ihre gemarterten Füße hoch und warnten sie vor den Gefahren dieser Welt, als sei Laura ein ahnungsloses Mädchen vom Land.
    Bald hatte es sich herumgesprochen, dass sie eine schöne Stimme hatte. Manchmal wurde sie von ihren Freunden bedrängt, zum Abschluss des Abends ein orientalisches Liebeslied zum Besten zu geben; dann gab sie freudig nach, kletterte auf ihren Stuhl und sang wehmütig in die Nacht hinaus. Wenn die Kellner aber vorschlugen, ihr ein Gastspiel in einem Tanzcafé oder einer Music-Hall zu vermitteln, lehnte sie ab; denn dort, das war ihr klar, hätte sie beim Singen ihr Dekolleté und ihr Strumpfband zu Hilfe nehmen müssen wie vormals ihre Mutter. Und das, so hatte sie sich seit frühester Kindheit geschworen, würde sie niemals tun.
    Weil aber Kinderschwüre am Ende der Kindheit verfallen und Laura nun zwanzig Jahre alt war, ging sie in dieser Sache noch einmal mit sich zu Rate. Der Alltag als Verkäuferin war ihr zu fad, sie hatte immer noch Sehnsucht nach der Bühne. Und wenn eine junge Frau auf die Bühne wollte, musste sie als Eintrittspreis ihr Strumpfband herzeigen, das war zu allen Zeiten und in allen Künsten so gewesen.
    So nahm Laura im März 1931 schließlich doch ein Engagement an und trat an fünf Abenden hintereinander im »Chat Noir« auf. Der Patron hatte ein Kosakenkostüm mit falschem Hermelinbesatz im Fundus, das ihr wie angegossen saß, also sang sie russische Liebeslieder und tanzte Kasatschok. Das Publikum raste, sie selbst genoss das Rampenlicht und den Applaus; und die fünfzehn Francs, die sie jeweils am Ende des Abends bekam, konnte sie gut gebrauchen. Nach jedem Auftritt wurde sie am Hinterausgang von einem befreundeten Kellner erwartet, der sie vor den Ehrenbezeugungen allzu begeisterter Zuschauer beschützte und ritterlich nach Hause geleitete.
    Natürlich war Laura bewusst, dass ihre Darbietung in künstlerischer Hinsicht bescheiden war, auch war ihre Stimme seit der Pariser Zeit ein wenig eingerostet; aber immerhin bereitete sie ihrem Publikum unbestreitbar Freude. Und war es nicht das höchste Ziel jedes Artisten, sein Publikum zu erfreuen? Und wenn sich die Freude des Publikums steigern ließ, indem man ein wenig Dekolleté oder Bein zeigte – wieso sollte man das nicht tun?
    Allzu viele Auftritte hatte sie nicht. Marseille war die zweitgrößte Stadt Frankreichs, aber eben doch eine Provinzstadt, die Zahl der Musik-Cafés war beschränkt; und wenn Laura in einem Lokal ihren Auftritt gehabt hatte, musste sie mindestens ein Jahr warten, bis sie ans nächste Gastspiel denken konnte. Vielleicht würde sich später, wenn ihr Name sich herumgesprochen hatte, eine kleine Tournee entlang der Côte d’Azur nach Cannes, Nizza und Monaco ergeben.
    Laura schlug in Marseille Wurzeln wie noch nirgends zuvor. Ihre Eltern waren spürbar älter geworden, der Bestand in der Musikalienhandlung war unerschöpflich. Und dann kam jener Nachmittag, an dem schwungvoll die Tür zum Verkaufsraum aufging und ein junger Mann eintrat, der einen weißen

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