Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
seiner Eisscholle blieb und einfach vom wechselnden Farbenspiel des Spektrographen berichtete, wie er es erfahren hatte und wie es jedermann mit einer geeigneten Apparatur nachprüfen konnte.
Felix Bloch fühlte sich in der Atomphysik nun ganz zu Hause, seine Professoren und Kommilitonen waren ihm eine zweite Familie geworden; oft blieb er mit ihnen bis tief in die Nacht in der Institutsküche bei Käse, Brot und Rotwein sitzen, um die neuesten Forschungsergebnisse zu diskutieren und unter Gleichgesinnten den Zustand der Welt zu erörtern.
Dabei stellte sich heraus, dass die meisten Studenten Felix’ Pazifismus und seine Hoffnung auf eine lichtere Zukunft jenseits kruder Mechanik teilten; in ihrer Abneigung gegen alles Industrielle und Maschinelle gingen manche so weit, dass sie als Wissenschaftler das Urprinzip jeder Maschine – das Gesetz von Ursache und Wirkung – ganz grundsätzlich als Fiktion des menschlichen Geistes ablehnten. Die Älteren hielten solch neoromantischem Existentialismus entgegen, dass empirisch gesehen die Maschine doch offensichtlich funktionierte, wenn sie funktionierte, womit hinreichend bewiesen sei, dass zumindest in der Physik gewisse Dinge eine Ursache und manche eine Wirkung hätten; darauf antworteten wiederum die Jungen, dass die Maschine nur als Ausdruck einer menschlichen Idee funktioniere und stets zu Tod und Vernichtung führe, weil ihr Kausalitätsprinzip erstens menschengemacht und zweitens die Negation alles Lebendigen und Organischen sei, das immer ohne Ursache und Wirkung aus sich selbst und in sich selbst gedeihe; darauf entgegneten die Alten wiederum, dass sich der Mond doch wohl kaum an menschlichen Ideen orientiere, wenn er sich an seine exakt vorhersagbare Umlaufbahn halte, worauf die Jungen antworteten, dass es naiv wäre, Atomphysik als eine Art Astronomie im Kleinen zu betrachten.
Solcherart waren die Gespräche in der Institutsküche. Und irgendwann später am Abend, wenn ein paar Flaschen geleert waren und die älteren Semester sich nach Hause verabschiedet hatten, kam die Rede der Jungen unvermeidlich auf Einsteins pazifistischen »Aufruf an die Völker« und auf den schändlichen Diensteifer, mit dem manche seiner Kollegen sich zu willigen Handlangern des Kriegs gemacht hatten.
Man sprach zum Beispiel über den Berliner Chemieprofessor Fritz Haber, der am 22. April 1915 vor der belgischen Kleinstadt Ypern den ersten Giftgasangriff der Geschichte geleitet hatte, bei dem auf französischer Seite in wenigen Minuten achtzehntausend Männer verreckten. Oder über dessen schöne und kluge Ehefrau Clara Immerwahr, die selber promovierte Chemikerin war und sich aus Scham über die Tat ihres Mannes mit dessen Dienstwaffe im Garten ihrer Berliner Villa erschoss. Und wieder über Fritz Haber, den der Kaiser persönlich als Belohnung für den Massenmord vom Vizewachtmeister zum Hauptmann beförderte und der noch an Claras Todestag nach Galizien abreiste, um die nächsten Giftgaseinsätze vorzubereiten, weshalb ihr Begräbnis ohne ihn stattfinden musste. Oder über den Nuklearchemiker Otto Hahn, der zusammen mit Fritz Haber im vaterländischen Überschwang die Chlorgasflaschen aufdrehte und dann vom schlechten Gewissen getrieben übers Schlachtfeld rannte, um den sterbenden sibirischen Schützen mit Sauerstoff Linderung für ihre verätzten Lungen zu verschaffen; oder über Hahns und Habers Schildbürgerstreich, als sie mitten im Krieg der Reichswehr den Vorschlag unterbreiteten, bei einer Million Gewehren die Visiere mit radioaktiv leuchtendem Radium zu beschmieren, damit die Soldaten auch bei Nacht schießen konnten; und über den Kriegsminister, der die Idee begeistert aufnahm und alles im Reich verfügbare Radium beschlagnahmen ließ, bis Schießversuche in Bruck an der Leitha zur Erkenntnis führten, dass im Dunkeln doch vorrangig das Ziel beleuchtet sein sollte und nicht das Visier; und über die Tatsache, dass ein Jahr nach Kriegsende ausgerechnet Fritz Haber den Nobelpreis für Chemie erhielt, und dass er danach jahrelang über den Atlantischen Ozean fuhr im vergeblichen Versuch, zwecks Bezahlung der deutschen Reparationsschulden Gold aus dem Meerwasser zu extrahieren, und dass er nun als Reichskommissar für Schädlingsbekämpfung Vergasungsmittel für Nagetiere und Ungeziefer entwickelte. Noch nicht wissen konnten die Physikstudenten in jenem Frühjahr 1927, dass Habers Vergasungsmittel unter dem Namen »Zyklon B« in die Geschichte eingehen sollte.
Felix
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