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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Bloch nahm die Schicksale Hahns und Habers als Mahnung, aber er wurde wegen ihnen nicht schwankend im Beschluss, sein Berufsleben der physikalischen Forschung zu widmen. Diese Männer hatten der Maschine zugedient, weil sie Söhne ihrer Zeit und ihres Imperiums gewesen waren. Er selber aber gehörte einer anderen Zeit an, und er war kein Deutscher. Sondern Schweizer.
    Felix Bloch hatte fast sein gesamtes bisheriges Leben in Zürich verbracht. Nur zum Skifahren war er mit den Eltern ins Engadin gefahren, und später hatte er ausgedehnte Bergtouren in den Glarner Alpen unternommen. Er sprach inzwischen fast akzentfrei Zürcher Dialekt und hatte sich den zwinglianischen, ein wenig verkniffenen Zürcher Humor angeeignet, dem die eigene Lustigkeit ein bisschen peinlich ist. Samstags ging er in den Letzigrund zum Fußballspiel und mittwochs an den Limmatquai zum Bratwurstessen. An der ETH fühlte er sich geschätzt und aufgehoben, und seine Forschungsarbeit hatte einen Sinn, an den zu glauben ihm leichtfiel.
    Aber dann wurde er doch von einem Tag auf den anderen heimatlos, als seine Physikerfamilie an der ETH sich gleichsam über Nacht in alle Winde zerstreute. Ende des Sommersemesters 1927 musste er von seinen Wanderkameraden Fritz London und Walter Heitler Abschied nehmen, weil der eine nach München zurückkehrte und der andere mit Professor Schrödinger nach Berlin ging; gleichzeitig folgte Institutsleiter Peter Debye einem Ruf nach Leipzig. In der Küche des Instituts wurde es still, seine Abende verbrachte Felix nun bei den Eltern an der Seehofstraße. Allmählich wurde ihm klar, dass er nach den Sommerferien außer Professor Scherrer in ganz Zürich niemanden mehr haben würde, mit dem er sich über Elektronen würde austauschen können.
    Eines Nachmittags suchte er Scherrer in dessen Büro auf und legte ihm die Quarzprismen auf den Tisch. Dieser hob erstaunt die Brauen und wollte wissen, ob Felix seine Arbeit abgeschlossen habe.
    Im Gegenteil, erwiderte Felix, genaugenommen habe er noch immer keine Ahnung, ob seine Elektronen nun Hochsprung oder Weitsprung oder sonst etwas Schönes machten.
    Scherrer lachte. Und?
    Für den Spektrographen habe er vorläufig keine Verwendung mehr, sagte Felix. Wenn er wieder Bedarf nach Prismen haben sollte, werde er Ersatz beschaffen.
    Unsinn, sagte der Professor, schob die Prismen über den Schreibtisch zurück und erkundigte sich nach Felix’ Plänen.
    Eigentlich, sagte dieser und zuckte mit den Schultern, möchte er immer noch herausfinden, weshalb elektrischer Strom in Metallen so unerklärlich rasch vorankomme. Im Übrigen werde er sich im Herbst für die Pädagogik-Übungen einschreiben und aufs Lehramt vorbereiten, am Seefeld-Gymnasium werde nächstes Jahr eine Stelle frei.
    Wollen Sie das? fragte der Professor.
    Felix nickte.
    Lehrer werden? fragte der Professor. Gelangweilte Jünglinge mit den Grundzügen von Mechanik und Wärmelehre traktieren?
    Felix nickte.
    Lebenslang? Immer wieder aufs Neue, bis ans Ende Ihrer Tage?
    Eine ehrbare Aufgabe, sagte Felix.
    Aber nicht Ihre, entgegnete der Professor. Ihre Aufgabe ist es, Elektronen beim Hochsprung oder Weitsprung oder sonst etwas Schönem zu beobachten. Den Schuldienst müssen Sie anderen überlassen.
    Felix schwieg.
    Verstehe, sagte der Professor. Hören Sie zu, Bloch, Sie sollten in die Welt hinausgehen, hier in Zürich wird’s in nächster Zeit für Sie ziemlich einsam werden. Gehen Sie nach Göttingen, oder nach Kopenhagen. Oder nach Leipzig, Debye baut dort mit Heisenberg das Institut für theoretische Physik neu auf.
    Das kann ich mir nicht leisten, sagte Bloch.
    Wenn Sie wollen, rufe ich Heisenberg an. Der sucht, soviel ich weiß, noch einen zweiten Assistenten.
    Felix schwieg.
    Verstehe, sagte der Professor abermals. Ihr Vater?
    Felix nickte. Mein Vater ist nicht sehr empfänglich für den Charme von Elektronen.
    Seien Sie ein Mann, sagte der Professor, teilen Sie ihm Ihre Entscheidung mit. Er wird Ihnen seinen Segen schon nicht versagen.

    *

    Eigentlich war Laura d’Oriano nicht immer nur unglücklich über ihren Rauswurf am Konservatorium und ihre erzwungene Abreise aus Paris. Gewiss war es eine bittere Niederlage gewesen, dass sie als Künstlerin nicht hatte bestehen können, aber der Abschied von der nördlich grauen Lichterstadt, die ihr zweiundzwanzig Monate lang so mitleidlos die kalte Schulter gezeigt hatte, war für ihr mediterranes Gemüt auch eine Erlösung gewesen.
    In Marseille fühlte sie sich wohl.

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