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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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und Verlagshäusern sowie durch Handel mit Pelzen und Getreide aus Osteuropa. Sie bummelten zu den Karussells und Achterbahnen am Alten Messplatz oder zum Tanzkabarett »Rote Mühle« in der Windmühlenstraße, das wie sein Pariser Vorbild die äußere Form einer roten Mühle hatte; abends besuchten sie die politischen Kabaretts, die nach dem Krieg wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, die »Retorte«, den »Bauch« oder die »Litfaßsäule«. Im Sommer ging man ins Freibad Schönefeld oder zum Ipa-Strandbad beim Messegelände, im Winter zur Rodelbahn im Schönefelder Park. Über Ostern lud Heisenberg die engsten Freunde auf seine Skihütte in den bayerischen Alpen ein.
    Die späten Abendstunden verbrachte Felix Bloch allein in seiner Bude, las Fachzeitschriften oder schrieb Briefe an die Eltern. Vor dem Lichterlöschen geriet er ins Sinnieren, betrachtete die Glühbirne seiner Leselampe und fragte sich, ob die Elektronen im Inneren des leuchtenden Drahts wirklich das taten, was er sich vorstellte. Wenn er dann im Dunkeln im Bett lag, konnte er durch die dünnen Wände am anderen Ende des Flurs Heisenberg auf dem mahagonibraunen Flügel spielen hören, den dieser sich von der Leipziger Pianofortefabrik Julius Blüthner hatte liefern lassen. In jenem Herbst 1928 war es das Allegro vivace aus Schumanns Klavierkonzert in a-Moll, an dem Heisenberg sich Abend für Abend stundenlang die Zähne ausbiss. Felix lauschte bis zum Einschlafen und wunderte sich, dass Heisenberg sich ausgerechnet dieses schwermütig-romantische Stück ausgesucht hatte, das eine einzige Phantasie über Schumanns Liebeswerben und die Glückseligkeit in der Vereinigung mit Clara war.
    Zwischen den beiden jungen Männern entwickelte sich eine zurückhaltende, aber ernsthafte Freundschaft. Kurz vor Weihnachten 1927 nahm Heisenberg Bloch beiseite und fragte ihn, wie er mit seinen Elektronen vorankomme.
    Ganz ordentlich, antwortete Felix, die Resultate der Messungen stimmten vollständig mit der Ausgangsthese überein.
    Ob es dann nicht an der Zeit wäre, das Ganze als Dissertation niederzuschreiben, fragte Heisenberg und fügte schamhaft lächelnd hinzu, dass er in seiner kurzen Professorenlaufbahn noch keinen eigenen Doktoranden betreut habe und es ihm eine Ehre wäre, wenn Felix der erste wäre.
    Die folgenden sechs Monate widmete Felix Bloch seiner Doktorarbeit, die er am 2. Juli 1928 unter dem Titel »Über die Quantenmechanik der Elektronen in Metallgittern« einreichte. Darin behandelte er das bis anhin ungelöste physikalische Rätsel, dass elektrischer Strom auch in sehr langen Metalldrähten sehr schnell fließt. Er erklärte den erstaunlich geringen Widerstand damit, dass die Metall-Ionen in Form eines stabilen Kristallgitters angeordnet seien, was einen Zusammenstoß mit den durchziehenden Elektronen extrem unwahrscheinlich mache; je tiefer zudem die Temperatur, desto stabiler das Gitter und desto unwahrscheinlicher ein Zusammenstoß. Tatsächlich hatten seine Experimente im Keller ergeben, dass die Leitfähigkeit von Metallen mit sinkender Temperatur stieg. Sein Doktorvater Heisenberg sollte den Gittergedanken wenig später aufnehmen und vorschlagen, dass der gesamte Kosmos wie eine große Honigwabe in einem einzigen Gitter organisiert sei.
    Als Felix’ Doktorarbeit in der Berliner »Zeitschrift für Physik« erschien, erregte sie europaweites Aufsehen, alle wollten den jungen Mann sehen. Im Wintersemester 1928/29 lud ihn Wolfgang Pauli an die ETH Zürich ein, danach ging er zu Niels Bohr nach Kopenhagen, zu Max Planck und Otto Hahn nach Berlin, zu Paul Ehrenfest nach Leiden und zu Max Born nach Göttingen, wo er die Bekanntschaft eines amerikanischen Doktoranden namens Robert Oppenheimer machte, der wie ein Wasserfall über Sanskrit, Dante oder den Zeitbegriff bei Buddha sprechen konnte und in Felix’ Leben noch eine schicksalshafte Rolle spielen sollte.
    Man wäre gern dabeigewesen, als die jungen Leipziger Quantenmechaniker über Ostern 1932 zur Kopenhagener Frühjahrskonferenz ans Institut von Niels Bohr fuhren. Werner Heisenberg und Felix Bloch unternahmen die vielstündige Bahnfahrt gemeinsam mit ihren Leipziger Doktoranden Carl Friedrich von Weizsäcker und Edward Teller, in Berlin stieß Otto Hahns Assistent Max Delbrück dazu. Unterwegs debattierten die jungen Leute ausführlich über das aufregendste atomphysikalische Thema das Jahres: die Entdeckung des Briten James Chadwick, dass es nebst dem positiv geladenen Atomkern und

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