Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
Hexerei; gegen Husten verkaufe man Sirolin und gegen Hühneraugen opiumhaltige Anaxa-Pflaster, bei allen schwierigeren Fällen verweise man an den Hausarzt.
Also packte das junge Ehepaar seine Habseligkeiten und ließ sich von Vater d’Oriano in einem geliehenen Fiat nach Grasse fahren, holte die Hausschlüssel des Legionärs bei dessen Mutter und bezog das neue Heim. Dort machten Laura und Emil die erstaunliche Erfahrung, dass in der Apotheke und in der darüberliegenden Wohnung sämtliche Dinge des täglichen Bedarfs derart ihren Bedürfnissen, ihrem Geschmack und ihren Maßen entsprachen, dass man hätte meinen können, sie selber seien ihre eigenen Vorgänger gewesen. Die Hausschuhe hinter der Wohnungstür passten perfekt an Emils Füße, auch der Bademantel im Schrank hatte exakt seine Größe. Laura entdeckte im Schlafzimmer auf dem Schminktisch einen neuen Kajal-Stift ihrer Marke und ihr bevorzugtes Parfüm, und neben dem Ehebett stand eine Wiege samt Kissen und Daunendecke, die nur auf ihr Baby zu warten schien.
Emil, was soll das, sagte Laura.
Nicht zu fassen, sagte er.
Ist das einer deiner Tricks?
Ich stehe vor einem Rätsel, sagte er. Hand aufs Herz, ich wundere mich genauso wie du.
Das ist nicht lustig, Emil. Ich will jetzt wissen, ob du schon mal hier gewesen bist.
Nie. Ich schwör’s.
Dann glaubte Laura ihm, denn sie wusste, dass Emil zwar ein Schlaumeier, aber kein Lügner war. Er war noch nie in Grasse gewesen, und auch den Legionär kannte er nur aus Briefen; dass dieses Haus zu ihnen passte wie angegossen, war tatsächlich der reine Zufall. In der Folge wunderten Laura und Emil sich schon gar nicht mehr, dass sie in der Apotheke zwei perfekt passende weiße Apothekermäntel vorfanden und die Regale staubfrei und bestens aufgefüllt waren, und dass auf dem Tresen ein Bericht des letzten Inventars in zweifacher Ausführung lag.
Emil brauchte nichts weiter zu tun, als am folgenden Montag um acht Uhr morgens den weißen Mantel überzustreifen und die Ladentür aufzusperren. Laura würde den Haushalt besorgen und sich um das Baby kümmern, und vielleicht würde sie gelegentlich, während das Baby schlief, in der Apotheke aushelfen. Wenn das Geschäft gut lief, würden sie ein gebrauchtes Auto kaufen und an den Wochenenden nach Cannes und Nizza fahren, und zu hohen Feiertagen auch mal nach Marseille zu Lauras Eltern und Geschwistern.
Emil rechnete fest damit, dass die Apotheke ihn und seine Familie für die Dauer der Wirtschaftskrise ernähren würde, weil die Menschen zu allen Zeiten krank wurden und immer Medikamente brauchten, an die sie glauben konnten. Aber das war ein Irrtum. Am Tag der Wiedereröffnung hatte er eine einzige Kundin, am zweiten Tag niemanden, am dritten Tag zwei. Wie es sich nämlich herausstellte, hatte die Krise erst den Tourismus zum Erliegen gebracht, die Amerikaner blieben aus; dann war auch der Parfümhandel eingebrochen, die Bürger von Grasse verdienten kein Geld mehr. Und weil sie sich das Krankwerden nicht mehr leisten konnten, blieben sie einfach gesund. Jene aber, die doch krank wurden, ließen sich nichts anmerken, weil sie das bisschen Geld, das sie noch hatten, lieber in die Metzgerei trugen als in die Apotheke. Denn der Mensch kann zur Not auch ohne Hühneraugenpflaster und Opiumtinktur leben, aber nicht ohne Rindsschnitzel.
Tagelang stand Emil allein in der Apotheke, die Klingel über der Eingangstür blieb stumm. Als er abends zusperrte, war die Kasse so leer wie am Morgen. Die Ersparnisse und das Brautgeld gingen zur Neige, Laura fand im Städtchen bald keinen Bäcker und keinen Gemüsehändler mehr, bei dem sie anschreiben lassen konnte. Zweimal schon war sie nach Marseille gefahren und hatte die Eltern um Geld gebeten. Ein drittes Mal wollte sie nicht gehen. Im April kam das Baby zur Welt. Es war ein Mädchen, das sie auf den Namen Renée tauften. Die Händler hatten nun Mitleid und gaben Laura wieder Kredit. Als sie wenige Monate später aber ein zweites Mal schwanger wurde und wieder mit rundem Bauch um Wurst und Brot anstand, machten die Gewerbetreibenden strenge Gesichter und schauten durch Laura hindurch, als ob sie Luft wäre, bis sie ein Einsehen hatte und mit leerer Tasche nach Hause lief.
Im März 1933 kam das zweite Mädchen zur Welt. Sie tauften es Anna. Laura und Emils Lage war verzweifelt, es fehlte ihnen an allem. Nachdem Laura sich einigermaßen von der Niederkunft erholt hatte, rief sie alle drei Tanzcafés in Cannes an, bat um ein
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