Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
Gastspiel und erniedrigte sich so weit, dass sie zur Probe in den Telefonhörer sang. Und als sie tatsächlich einen Auftritt erbettelt hatte und an einem Freitagabend im Abendkleid mit dem Omnibus wegfuhr, ließ Emil Fraunholz in einem Anfall rasender Eifersucht, die er an sich selbst zuvor nicht gekannt hatte, die beiden schlafenden Töchter allein in der Wohnung zurück, entwendete das Fahrrad eines Nachbarn und pedalte die ganzen zwanzig Kilometer hinunter nach Cannes, um Lauras Auftritt im Dunkeln zu verfolgen und ihr hinterher die schrecklichste Szene zu machen, weil sie im Scheinwerferlicht ihr Strumpfband und ihr Dekolleté hergezeigt hatte.
Dann kam der Sommer, das Leben wurde ein wenig leichter, weil Südfrankreich von Lebensmitteln überquoll. An einem Oktoberabend aber, als man schon wieder Geld für den Kohleofen brauchte, erkundigte sich Emil Fraunholz nach dem Zubettgehen vorsichtig bei seiner Gattin, ob sie sich eventuell vorstellen könnte, die Zelte in Südfrankreich vorübergehend abzubrechen und das Ende der Wirtschaftskrise auf dem Bauernhof seiner Eltern in der Schweiz abzuwarten.
Da müsstest du doch ins Militär, sagte sie schläfrig.
Die wollen mich jetzt nicht mehr, antwortete er. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder, weißt du?
Da setzte Laura sich im Bett auf und schaltete die Nachttischlampe wieder ein.
Emil, schau mich an und hör mir zu.
Ich höre.
Ich bin dir nach Grasse gefolgt, obwohl ich lieber in Marseille geblieben wäre.
Das stimmt.
Ich bleibe treu an deiner Seite in guten wie in schlechten Zeiten, wie wir es dem Pfarrer versprochen haben.
Ich weiß.
Aber was du jetzt von mir verlangst, geht zu weit. Es übersteigt meine Kräfte, hörst du, eher lasse ich mich scheiden oder erschießen wie ein Hund, als dass ich mich in deinem Bauerndorf begraben lasse.
Wie redest du denn, sagte er, das ist nicht mein Bauerndorf. Wir hätten ein Dach über dem Kopf und die Kinder hätten zu essen. Jede Menge Kartoffeln und Äpfel, und frische Milch.
Wie heißt der Ort noch mal? Bottikov?
Bottighofen. Es muss ja nicht für ewig sein. Ein Jahr oder zwei, bis die Krise vorbei ist.
Bottikov, wo liegt das, in Russland? Und was gibt’s dort, Kühe? Apfelbäume?
Der Bodensee ist schön, du wirst sehen. Die Touristen kommen von weit her.
Ich bleibe hier.
Auf immer in Südfrankreich?
Was hast du gegen Südfrankreich?
Nichts, sagte Emil.
Du hast etwas gegen Südfrankreich.
Südfrankreich ist schön, sagte Emil.
Aber?
Es gibt auch Schattenseiten, wie überall.
Zum Beispiel?
Lass gut sein.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel ist Südfrankreich der Ort, an dem kapriziöse Kellner jungen Ausländern beibringen, wie man kleine Vögel mit Messer und Gabel isst.
Und deshalb zieht es dich heim nach Bottikov?
Wenn du so willst, jawohl. Wir essen keine kleinen Vögel, dafür haben wir reichlich Kartoffeln und frische Milch.
Laura wollte nichts mehr hören, ein Umzug nach Bottighofen kam für sie nicht in Frage. Sie löschte das Licht und schlief ein, und am nächsten Morgen beim Frühstück schärfte sie Emil noch mal ein, dass er sich jeden Gedanken daran ein für alle Mal aus dem Kopf schlagen solle. Und sie wäre gewiss standhaft geblieben, wenn nicht drei Tage später der Gerichtsvollzieher gekommen wäre und die Ladentür der Apotheke versiegelt hätte, und wenn nicht weitere fünf Tage später der Vermieter die Wohnung per Ende des Monats gekündigt hätte, weil sie mit der Miete ein halbes Jahr in Verzug waren.
*
Nach der Rückkehr aus Kopenhagen reichte Felix Bloch seine Habilitationsschrift ein, dann hielt er Vorlesungen über die Allgemeine Relativitätstheorie, die Quantentheorie des Magnetismus und die Absorption hochenergetischer Teilchen durch Materie. 1932 war ein fröhliches Jahr für die Naturwissenschaften, die Entdeckung des Neutrons hatte auf weiten Gebieten neue Horizonte eröffnet. In Deutschland aber neigte sich das annus mirabilis, wie die Physiker es nannten, lang vor dem Herbst dem Ende zu.
Felix Bloch bemerkte es daran, dass in der Leipziger Innenstadt immer mehr Fahnen hingen. Ständig gab es Demonstrationen und Fackelzüge, alle paar Tage floss Blut bei Prügeleien und Schießereien. An der Universität besetzten Wachtposten des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds ( NSDSTB ) Eingänge und Treppen und verprügelten die Zettelverteiler anderer Parteien. In den Hörsälen saßen uniformierte Studenten und machten Krawall, wenn sie den Verdacht
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