Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
sumerische Schulkinder Rechenübungen mit Quadrat- und Kubikwurzeln hatten machen müssen.
Diese Zurückstufung machte Arthur Evans zu schaffen – ihm, der zeitlebens davon geträumt hatte, irgendwann auf Knossos das Grab des König Minos und vielleicht gar dessen Bibliothek zu finden. Lange Jahre hatte er danach gesucht, immer weitere Kreise hatte er um Knossos gezogen, kreuz und quer hatte er Berge hinauf und hinunter auf Eselsrücken im Holzsattel die Insel durchstreift auf der Suche nach dem Königsgrab bis zum südlichen Strand und wieder zurück, war in zahllose Höhlen gekrochen und hatte jedes kleine Eiland besucht, das der schroffen Felsenküste vorgelagert war.
Nach dem großen Erdbeben von 1926 waren seine Ausritte rar geworden, die Last der Jahre machte sich bemerkbar. Immer seltener nahm er die Seereise von England nach Kreta auf sich, immer öfter verbrachte er ganze Jahre in Oxfordshire auf seinem Landsitz Youlbury. Im März 1931 aber, als er kurz vor seinem achtzigsten Geburtstag doch wieder einmal auf Knossos nach dem Rechten sah, bot ihm Nikolaos Polakis, der Priester von Forteba, einen riesigen Siegelring aus massivem Gold zum Kauf an, den angeblich ein Bauernbub namens Michael Papadakis beim Spielen in einem Weinberg gefunden hatte. In einer Version der Geschichte hatte der Ring glitzernd in der Erde gesteckt, in einer anderen am Zweig einer jungen, frisch aus der Erde geschossenen Pflanze gehangen.
Auf dem Ring war eine königlich aufrechte Gestalt mit einem Boot eingraviert, das die Form eines Seepferdchens hatte und zwischen zwei Mauern auf einen Olivenhain oder Weinberg zusteuerte, auf dessen Kuppe ein säulengestütztes Gebäude stand, das einem kleinen Tempel oder Grabmal ähnlich sah. Er sei auf den ersten Blick von der Echtheit des Rings überzeugt gewesen, schrieb Arthur Evans, weil ihm die eingravierten Motive aus den Fresken von Knossos geläufig gewesen seien, zudem habe das massive Goldgewicht von siebenundzwanzig Gramm die Vermutung nahegelegt, dass dessen Träger von königlichem Blut gewesen sein müsse. Der Kauf sei nicht zustande gekommen, weil der Priester zwanzig Millionen Drachmen verlangte; aber immerhin habe er Arthur Evans gratis und umsonst den genauen Fundort beschrieben.
Anfang April 1931 ging Evans mit einer kleinen Grabungsequipe zur genannten Stelle in einem Weinberg drei Kilometer südlich von Knossos. Er fand an der fraglichen Stelle einen kleinen griechischen Friedhof und darunter ein großes, offenbar minoisches Bauwerk, das sich nach einigen Tagen Grabungsarbeit als säulengestützter Tempel mit gepflästertem Vorhof und darunterliegender Gruft erwies, deren Wände rot und die Decken blau bemalt waren.
Arthur Evans war begeistert. Diese Grabanlage war größer als alle Gräber, die er je auf Kreta gesehen hatte. Zwar war die Gruft schmucklos und leer, aber das verunsicherte ihn nicht, sondern bestärkte ihn in seiner Überzeugung, tatsächlich das wirkliche Grabmal des König Minos vor sich zu haben. Denn bekanntlich war Minos auf der Jagd nach dem entflohenen Dädalus nach Sizilien gesegelt und dort ermordet und beigesetzt worden, weshalb sein Leichnam sich gar nicht auf Kreta befinden konnte. Die Leere der Gruft war also ein Beweis oder zumindest ein Indiz dafür, dass dieses Grab tatsächlich für König Minos errichtet worden war.
Der goldene Siegelring, der Arthur Evans auf die Spur des Königsgrabs gebracht hatte und den die Archäologie seither als Ring des König Minos kennt, wurde vom staatlichen Museum in Candia gekauft, später aber als Fälschung erkannt und dem Priester zurückgegeben, welcher ihn angeblich der Obhut seiner Ehefrau überließ, die ihn angeblich irgendwo vergrub und sich dann später leider der Stelle nicht mehr entsinnen konnte – dies jedoch erst, nachdem Emile Gilliéron den Ring hatte zeichnen und fotografieren können, und nachdem er in seiner Werkstatt zuhanden von Arthur Evans eine Kopie hatte anfertigen lassen, die mit der verlorenen Originalfälschung geradezu identisch gewesen sein muss.
Dann wurde es still um den Ring des König Minos, bis achtzig Jahre später der Enkel des Priesters Polakis beim archäologischen Museum in Heraklion vorstellig und verkündete, der Ring sei wiederaufgetaucht. Der Museumsdirektor erwarb ihn für eine unbekannte Summe, seit 2002 wird er in der ständigen Ausstellung an prominenter Stelle präsentiert.
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