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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Handwerk beherrschte und eine Vorliebe für kleine, selbstgebaute Elektroapparate hatte. Wenn man die zwei Stufen zu seinem Salon hinaufstieg und den Schuhabstreifer betrat, öffnete sich die Eingangstür selbsttätig, und wenn man auf dem Frisierstuhl Platz genommen hatte, verstellte Pietro die Sitzhöhe per Knopfdruck mithilfe eines Elektromotors. Zum Aufschäumen der Seife benutzte er ein selbstgefertigtes elektrisches Rührwerk und fürs Schleifen seiner Messer eine kleine Maschine mit gegenläufig rotierenden Steinen. Von den brandneuen Remington-Trockenrasierern hingegen hielt Pietro nichts, weil er einen im Selbstversuch getestet hatte und zur prophetischen Überzeugung gelangt war, dass mit diesen Geräten auch in hundert Jahren keine ordentliche Rasur möglich sein würde.
    Wenn es aber ans Schneiden des Haupthaars ging, setzte er ganz auf seine elektrisch betriebenen Drehmesser, deren abenteuerlichen Anblick er seinen Kunden nach Möglichkeit ersparte. Beim Kürzen des Deckhaars brachte er eine andere Maschine zum Einsatz als beim Auslichten des Schläfenhaars, fürs Stutzen der Nasen- und Ohrenhaare wieder eine andere und beim Ausscheren des Nackens noch mal eine andere, und wenn er die abgeschnittenen Haare unter dem Kragen entfernte, verwendete er dafür einen kleinen Staubsauger mit einem selbstgefertigten, samtgepolsterten Düsenvorsatz.
    Zum Abschluss massierte Pietro seinen Kunden immer ganz manuell die Schläfen mit Acqua di Parma. Felix Bloch schloss die Augen und lauschte den Radionachrichten. Der Sprecher berichtete, dass der Oberste Gerichtshof des Bundesstaates Kalifornien den Bauernknecht Claud David wegen Mordes zum Tod verurteilt hatte. General Francos Truppen waren in Barcelona einmarschiert. An der Decke surrte der Ventilator, in der Ecke der Cola-Automat. Der Sprecher las die Wettervorhersagen. Nordkalifornien stand ein trübes und kühles Wochenende bevor. Plötzlich wurde die Stimme des Sprechers lebhaft, eben sei eine wichtige Nachricht eingegangen. Das Rascheln von Papier war zu hören. Dem deutschen Chemiker Otto Hahn in Berlin sei es gelungen, durch Beschuss mit Neutronen den Kern eines Uran-Atoms zu zertrümmern, was bisher als physikalisch unmöglich galt. Diese Nachricht habe der dänische Nobelpreisträger Niels Bohr zur Eröffnung der fünften Washingtoner Konferenz über theoretische Physik überbracht. Bei der Zertrümmerung des Urankerns sei das Element Barium entstanden und die ungeheure Energie von zweihundert Millionen Elektronenvolt freigesetzt worden.
    Felix Bloch wusste sofort, was das bedeutete. Er riss sich das Tuch vom Hals und stürmte aus dem Salon, rannte zum Chevrolet und fuhr mit übersetzter Geschwindigkeit nach Berkeley. Er parkte vor der Freitreppe der schlossähnlichen LeConte Hall und rannte die drei Stockwerke hinauf zu Oppenheimers Büro, wo er diesem atemlos berichtete, was er am Radio gehört hatte. Man kann sich vorstellen, dass Oppenheimer auf der Kante seines Schreibtischs saß, »Ja … ja, ja … ja« machte und Felix Bloch bei der ersten Gelegenheit ins Wort fiel.
    Welche Spaltprodukte hat Hahn gefunden? fragte Oppenheimer.
    Barium.
    Sonst nichts?
    So haben sie’s am Radio gesagt, aber das ist natürlich unmöglich. Uran 92 minus Barium 56 ergibt 36, also Krypton. Wenn Hahn Barium gefunden hat, muss er auch Krypton gefunden haben.
    Und freie Neutronen? Oppenheimer steckte sich mit dem Stummel seiner niedergebrannten Chesterfield eine neue an.
    Von Neutronen war nicht die Rede.
    Solange keine Neutronen frei werden, ist alles halb so wild.
    Ich fürchte, es werden welche frei.
    Ein Neutron pro Kernspaltung bedeutet die Uranmaschine, sagte Oppenheimer. Unbegrenzt Energie für die ganze Menschheit bis ans Ende ihrer Tage.
    Aber zwei Neutronen bedeuten die Bombe, sagte Bloch. Was machen wir jetzt?
    Oppenheimer zuckte mit den Schultern. Wenn die Bombe möglich ist, wird jemand sie bauen.
    Wahrscheinlich.
    Ganz sicher.
    Fragt sich nur, wer.
    Jemand, der’s kann, sagte Oppenheimer. So viele sind’s nicht. Wir oder die anderen, nicht wahr?
    Felix Bloch nickte.
    Wo ist Hahn eigentlich jetzt?
    Immer noch in Berlin.
    Und Ihr Freund Heisenberg?
    Immer noch in Leipzig.
    Und von Weizsäcker?
    Immer noch in Berlin.

Elftes Kapitel

    Seine letzte Reise nach Knossos unternahm Emile Gilliéron im Alter von fünfzig Jahren, als Arthur Evans zum Ehrenbürger von Heraklion ernannt wurde. Zehntausend Menschen säumten am 15. Juni 1935 die Straße, während die

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