Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
sondern die einfachen mechanischen Teile wie die Scheibenwischer mit ihren trägen Pendelbewegungen oder die hübschen kleinen Bakelit-Kippschalter am Armaturenbrett oder die Kardanwelle, die das Drehmoment des Motors so elegant auf die Hinterachse übertrug.
Die manuelle Arbeit hatte ihm gutgetan, aber nun waren an dem Fahrzeug auf absehbare Zeit beim besten Willen keine Wartungsarbeiten mehr vorzunehmen. Also sah er sich nach einer anderen handwerklichen Aufgabe um und kam auf die Idee, im Labor des physikalischen Instituts eine Maschine zur Herstellung freier, nicht in einem Atomkern gebundener Neutronen zu bauen. Er fand es verlockend, mit seiner Hände Arbeit etwas zu schaffen, was es in der Natur nicht gab, und er hatte noch immer Niels Bohrs Ratschlag im Ohr, dass man Neutronen brauche, wenn man mit Neutronen arbeiten wolle. Also würde er welche herstellen. Dann würde man sehen, was sich mit ihnen anfangen ließ.
In den Geräteschränken des Labors fand er allerlei physikalisches Spielzeug wie Crookes’ Röhre oder Leonardos Wasserpumpe, dann auch ein paar Kupferspulen und Transformatoren, allerlei thermodynamisches Gläserwerk sowie eine Vakuumpumpe und ein paar Prismen und vor allem eine Röntgenröhre, die man mit einer Spannung von maximal zweihunderttausend Volt speisen konnte. Zweihunderttausend Volt waren nicht schlecht, damit ließ sich etwas anfangen. Als erstes würde er schweres Wasser produzieren, um die Neutronen abzubremsen, und mithilfe der Röntgenröhre würde sich vielleicht ein einigermaßen verlässlicher Strahl herstellen lassen. Felix Blochs Idee war, den Neutronenstrahl zu polarisieren, indem er ihn an zwei starken Elektromagneten vorbeiführte, um so die magnetische Ladung der Neutronen nachweisen und vielleicht sogar messen zu können.
Er machte sich mit Feuereifer an die Arbeit. Die Aussicht, nach langer Zeit wieder einen von ihm gedachten Gedanken mit der realen Welt in Einklang zu bringen, war ihm ein großer Trost. Er lötete und schraubte Tag und Nacht wie damals in Zürich, als er im Keller der ETH seinen Spektrographen gebaut hatte. Und dann kam der Augenblick, an dem er versuchsweise seine Strahlungsquelle, eine Mischung von wenigen Milligramm Radium und Beryllium, im Inneren der Röntgenröhre plazierte.
Über seine Maschine sagte Felix Bloch später, sie sei eher eine Quelle der Inspiration als eine Neutronenquelle gewesen. Hin und wieder habe er mit einigem gutem Willen das eine oder andere freie Neutron für ein paar Sekunden nachweisen können, bevor es von einem Atomkern eingefangen wurde; aber die Produktion sei viel zu gering gewesen, ein halbwegs verlässlicher Neutronenstrahl sei nie zustande gekommen. Auch hatte Felix die Röntgenröhre nicht mal zu seiner alleinigen Verfügung, sondern musste sie alle paar Tage an die Mediziner ausleihen, die mit ihren Studenten tote Schafe oder ihre eigenen Hände durchleuchteten.
Felix Bloch war klar, dass er eine größere Maschine brauchte – eine sehr viel größere Maschine. Im Labor seines Freundes Robert Oppenheimer stand zwar eine deutlich größere Maschine, die auf den Namen Zyklotron getauft worden war und als der größte Teilchenbeschleuniger der Welt galt; aber auch sie produzierte nur sehr unregelmäßig und unzuverlässig Neutronen, und auch sie musste man alle paar Tage den Medizinstudenten ausleihen.
Also setzte Felix Bloch sich an den Schreibtisch, zeichnete eine erste Planskizze für sein eigenes Zyklotron und wagte eine grobe Schätzung der Materialkosten. Dann griff er zum Telefonhörer und fing an, Geld zu sammeln. Der Dekan der Universität ließ ihn wissen, die Universität habe keine freien Mittel für sein anscheinend eher praxisfremdes Experiment, aber man verfolge seine Aktivitäten mit Interesse und wünsche ihm Glück. Die Rockefeller Foundation spendete viertausend und der Rotary Club von San Francisco tausend Dollar, und eine lokale Großbäckerei, die die Universität mit Brot zu beliefern hoffte, legte fünfhundert Dollar dazu.
Aber dann kam unerwartet der Tag, der allen Spielereien ein Ende machen und alles für immer verändern sollte – nicht nur in Felix Blochs Leben, sondern für die Zukunft der Menschheit und aller Lebewesen auf der Erde.
Jener Tag war der 26. Januar 1939.
Felix Bloch saß bei »Pietro’s Barber Shop« in der Hamilton Avenue, im Radio liefen die Mittagsnachrichten. Er war bei Pietro Stammkunde, weil dieser ein schöner und schweigsamer Italiener war, der sein
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