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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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weiß zufällig, dass jenes Schiff vor vielen Jahren abgewrackt wurde.
    Sind Sie sicher?
    Absolut.
    Wie bedauerlich, sagte Evans und strich mit beiden Händen über die Tischkante, als wollte er das Schiff streicheln. Ich hätte geschworen … Dann sah er sich verlegen und verwirrt um.
    Gilliéron hatte Mitleid mit dem alten Mann.
    Es ist zwar nicht dasselbe Schiff, sagte er, aber ich stimme trotzdem ganz mit Ihnen überein. Jenes Schiff von damals hatte große Ähnlichkeit mit diesem hier.
    Ah ja?
    Eine erstaunliche Ähnlichkeit. Wie ein Ei dem anderen.
    Nicht wahr? Arthur Evans nickte zufrieden. Schiffe sehen einander überhaupt alle sehr ähnlich, finden Sie nicht?
    Absolut, sagte Gilliéron und schaute aufs graue Meer hinaus. Ein Schiff ist ein Schiff, so viel steht fest.
    Dann versiegte das Gespräch. Arthur Evans betrachtete das Tischtuch mit verwundert hochgezogenen Brauen, und Emile Gilliéron ärgerte sich, dass er Mitleid empfand.
    Es war ein anstrengender Tag gewesen, sie legten sich früh schlafen. Als sie anderntags im Hafen von Piräus Abschied nahmen, schüttelten sie einander die Hände, schworen baldiges Wiedersehen und wussten doch beide, dass sie einander in diesem Leben nicht mehr begegnen würden. Gut möglich, dass Emile Gilliéron auf der Fahrt von Piräus nach Athen eine Träne vergoss, weil er nicht nur von Arthur Evans und dessen Epoche Abschied nahm, sondern auch von der Epoche seines Vaters und vielleicht auch schon von seiner eigenen.
    Denn es geschah an jenem Tag zum ersten Mal in dreißig Jahren, dass er ohne jeden beruflichen Erfolg aus Kreta heimkehrte – ohne die kleinste Bestellung, ohne Auftrag und ohne Einladung. Das war kein Zufall und würde keine Ausnahme bleiben, Gilliéron machte sich keine Illusionen. Die jungen Faktenhuber hatten an jenem Feiertag nicht nur Arthur Evans, sondern auch ihn mit unausgesprochenem Schimpf in Pension geschickt. Das war in Ordnung und der Lauf der Dinge, Emile Gilliéron empfand keine Bitterkeit, weil er sich selbst nicht als Verlierer und die Faktenhuber nicht als Sieger sah; es kam lediglich zu einem Schichtwechsel. Jetzt würden die jungen Leute zeigen müssen, wozu ihre rechthaberische Wissenschaftlichkeit taugte.
    Arthur Evans und Emile Gilliéron hatten immerhin den Palast des König Minos wiederauferstehen lassen – was hatten die Faktenhuber dagegen vorzuweisen? Ein paar wissenschaftlich akkurate Steinhaufen. Einer lag einsam am Stadtrand von Palekastro und ein anderer hinter dem Strand von Kato Zakros, in Phaistos hatten die Italiener ein bisschen was gefunden und die Franzosen hatten in Malia einen Steinhaufen ausgegraben, und alles war gewissenhaft vermessen, archiviert und katalogisiert worden. Aber wem erzählten diese Trümmer irgendetwas? Auch nur die kleinste Geschichte? Und wer würde sie noch sehen wollen, nachdem er den prächtigen Palast von Knossos gesehen hatte?
    Arthur Evans und Emile Gilliéron waren die Schöpfer des Palasts von Knossos, das war nicht mehr zu ändern und würde auch in hundert Jahren so sein, wenn die jungen Puristen, die archäologischen Schulmeister und ihre Buchhalter längst verrottet und vergessen in ihren Gräbern lagen, Seite an Seite mit den Museumskuratoren und Ministerialbeamten und all den anderen blutleeren, leidenschaftslosen Erbsenzählern, Korinthenkackern und Parasiten, die keinerlei Passion im Leben hatten, sich auf Staatskosten aufplusterten und nie im Leben eine Drachme aus der eigenen Tasche für etwas anderes als den eigenen Wanst hergegeben hatten. Auch in hundert Jahren, davon war Emile Gilliéron überzeugt, würde das kollektive Gedächtnis der Menschheit sich der Urgeschichte Kretas so erinnern, wie er und Arthur Evans sie geschaffen hatten – mit ihren Thronsälen, den Freitreppen und den rot-braunen Säulen, die sich nach unten verjüngten, und mit den Campingstuhl-Schönheiten, Safranpflückern und Schlangenpriesterinnen.
    In jahrzehntelanger Arbeit hatte er ein Gesamtwerk geschaffen, das sich unabhängig von seiner historischen Wahrhaftigkeit einen Platz in den großen Museen dieser Welt verdient hatte. Zwar war Emile Gilliéron klar, dass er für seine Lebensleistung keinen Ehrendoktor erhalten, nicht zum Ritter geschlagen und nirgends zum Ehrenbürger ernannt werden würde, weil er im Gegenteil froh sein musste, nicht als Fälscher oder Betrüger hinter Gittern zu enden. Aber wenn die Welt seine künstlerische Leistung auch nicht zu würdigen wusste, so konnte er immerhin

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