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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Festgemeinde vom Hafen hinauf zum Palast des König Minos zog. Der stellvertretende Kultusminister war eigens aus Athen angereist, um auf dem großen Platz vor dem Ausgrabungsgelände Evans’ Verdienste zu würdigen und Griechenlands Dankbarkeit für dessen Lebenswerk zum Ausdruck zu bringen. Nach ihm hielten auch der Botschafter des Vereinigten Königreichs und der Bürgermeister von Heraklion eine Rede. Und als die Sonne am Zenit stand, zelebrierte der griechisch-orthodoxe Bischof von Kreta eine Messe.
    Anschließend fiel Arthur Evans die Aufgabe zu, eine Bronzestatue seiner selbst samt Marmorsockel und Gedenktafel zu enthüllen. Nachdem der Applaus verebbt war, trat er ans Rednerpult. Er sprach wie stets mit schwerem englischem Akzent in einem Gemisch von Neu- und Altgriechisch, das die Griechen nur mit Mühe und die Nicht-Griechen überhaupt nicht verstanden. Von allen Anwesenden folgte nur Emile Gilliéron dem Vortrag mit Leichtigkeit, weil er das Kauderwelsch seit dreißig Jahren im Ohr hatte.
    Zuerst berichtete Arthur Evans von den Tagen, da Knossos noch kein Königspalast, sondern ein Olivenhain gewesen war. Dann deutete er mit großer Geste auf sein Lebenswerk und rief, dass der Palast zwar nur die Ruine einer Ruine sei, aber für alle Zeit beseelt bleibe vom organisatorischen Geist des König Minos und dem freien Künstlertum des Dädalos.
    Aus der zweiten Reihe verfolgte Emile Gilliéron mit Wehmut, wie sein langjähriger Brotherr sich unter der Last seiner sechsundachtzig Jahre tapfer aufrecht hielt und unbeirrt seine Vision vom minoischen Königreich zum Besten gab. Nichts davon war Gilliéron neu, alles hatte er tausendmal gehört – die Rede von der friedfertigen Seemacht, der Traum vom schriftkundigen Matriarchat, die Legende vom plötzlichen Untergang nach Erdbeben und Vulkanausbrüchen. Er gönnte dem alten Mann die Ehrung von Herzen und bedauerte nur, dass sie wie die meisten Ehrungen zwanzig oder dreißig Jahre zu spät kam.
    Wäre der Jubilar erst fünfzig oder sechzig Jahre alt gewesen, hätte er vielleicht noch von seinen überkommenen Visionen ablassen und mit seinen wissenschaftlichen Nachfolgern ins Gespräch kommen können. Jetzt aber war er unrettbar in seinem Altersstarrsinn verfangen und nur noch das erwartete Ärgernis für die jungen Archäologen, die doch mit dem festen Vorsatz hergekommen waren, den berühmten alten Mann zu ehren. Sie schauten betreten auf ihre Schuhspitzen, während Evans vom Geist des König Minos schwadronierte, und als er geendet hatte, stießen sie einander feixend in die Seiten, warfen schräge Blicke zum Palast hinüber und tuschelten, dass unter so viel Stahlbeton und Ölfarbe höchstens der Geist des Arthur Evans überleben werde.
    Trotzdem war der Applaus lang und aufrichtig. Nach dem Festakt begaben sich die geladenen Gäste zum Bankett auf die Terrasse der Villa Ariadne, und am späten Nachmittag kehrten sie zurück zum Hafen, wo der Dampfer nach Athen wartete. Der Abschied war herzlich, aber heuchlerisch; bei aller Verehrung für Arthur Evans, der seine ganze Lebenskraft und sein Privatvermögen für Knossos hingegeben hatte, war die archäologische Gemeinde Kretas doch froh, den alten Mann für immer loszuwerden, der seinen Nachfolgern nur noch im Weg und in der Sonne stand. Und als die Passagiere an Bord gegangen waren und die Matrosen die Leinen losgemacht hatten, wusste Emile Gilliéron, dass auch seine Zeit auf Kreta abgelaufen war.
    Nachdem das Schiff den Hafen verlassen hatte und alles Winken und Grüßen vorüber war, tranken die Weggefährten Tee im kleinen Salon.
    Erinnern Sie sich an unsere erste gemeinsame Überfahrt vor dreißig Jahren? fragte Arthur Evans. Als Sie aufs Tischtuch zeichneten?
    Da war ich fünfzehn, sagte Gilliéron entschuldigend. Mein Vater hat sich deswegen noch wochenlang über mich lustig gemacht.
    Ach, Ihr Vater, sagte Evans. Wie lange ist er schon nicht mehr unter uns?
    Elf Jahre, sagte Emile. Er ist vier Tage vor dem vierten Geburtstag meines Sohnes gestorben.
    Dann ist der kleine Alfred jetzt auch schon fünfzehn, nicht wahr? Hat er Ihr Talent geerbt, zeichnet er schon aufs Tischtuch?
    Nicht, dass ich wüsste, sagte Emile kurz.
    Nach einer Weile räusperte sich Evans und schaute um sich, als suche er etwas.
    Sagen Sie, Gilliéron, haben wir diese Überfahrt vor dreißig Jahren nicht auf genau diesem Schiff gemacht? War das nicht exakt dieser Tisch, an dem Sie aufs Tischtuch gezeichnet haben?
    Leider nein, Sir. Ich

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