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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Frühstück in der Zeitung, dass zwischen Deutschland und Polen ein Krieg ausgebrochen sei. Er stellte seine Tasse ab, rief den Lloyd Triestino an und verschob die Fahrt nach Triest um vier Wochen. Bis dahin, so hieß es in der Zeitung, würde der Krieg vorüber sein, Polen werde keine zwei Wochen standhalten.
    Einen Monat später stand wiederum die Abreise bevor. Am Abend zuvor aß er mit seiner Frau Ernesta Tintenfisch an Rotweinsauce auf der Terrasse seines Hauses. Es war ein spätsommerlich warmer Abend, im Süden glühte die Akropolis, daneben ging der Mond auf. Nach dem Kaffee stellte Ernesta eine Lampe zu ihrer Staffelei und arbeitete weiter an ihrem jüngsten Ölbild, das eine Ansicht der Akropolis bei Vollmond darstellte; sie skizzierte den Verlauf des Schattenwurfs bei aufsteigendem Mond und musste sich entscheiden, welche Position die effektvollste war.
    Emile Gilliéron schaute ihr bei der Arbeit zu und trank seinen Armagnac. Seit zwanzig Jahren war er nun mit ihr verheiratet, seit einundzwanzig Jahren schaute er ihr beim Malen zu. Er schätzte ihre Bilder, weil sie von handwerklich hoher Qualität, wenn auch allzu brav und künstlerisch ohne Mut waren. Es lag eine gewisse Tragik darin, dass Ernestas Akropolis-Bilder zu gut waren, um an Touristen verkauft zu werden, und zu belanglos, um die Aufmerksamkeit von Galeristen und Sammlern zu wecken. Jeder Schmierfink, jeder Stümper und jedes Genie hatte seine Käufer auf dem unersättlichen Athener Kunstmarkt, einzig Ernestas Werke waren unverkäuflich und stapelten sich zu Hunderten im Gilliéronschen Haus. Nur alle paar Monate fand eines den Weg in die Welt hinaus, um als verstaubte Dauerleihgabe im Salon von Freunden oder Bekannten zu enden.
    Der Mond löste sich wie immer erstaunlich rasch vom Horizont. Als er nah am Zenit stand und die Akropolis kaum noch Schatten warf, räumte Ernesta ihre Malutensilien weg und zog sich zurück. Emile schenkte sich einen letzten Armagnac ein, den Koffer für die Reise hatte er schon gepackt. Diesmal würde er fahren müssen, auch wenn der Krieg noch nicht vorüber war; die Lagerbestände gingen zur Neige.
    Emile graute vor der Reise. Die Zollkontrollen würden noch mühsamer sein als gewöhnlich, die Zugfahrten noch länger und die Ankunftszeiten noch ungewisser. Unter diesen Umständen war es nicht ratsam, auffällige Gegenstände wie die Streitaxt des Menelaos oder den Zweihänder des Theseus im Reisegepäck mitzuführen. Diesmal würde er nur minoische Goldringe und mykenische Münzen nach Deutschland bringen, die anderen Sachen aber zu Hause lassen.
    Als die Flasche leer war, ging er ins Haus und wusch sich Gesicht und Hände, dann zog er sich aus und stellte den Wecker auf halb sieben. Es war kurz nach Mitternacht, der 30. September 1939 war eben angebrochen. Leise legte er sich neben seine Frau ins Bett und schlief wie immer rasch ein. In den vierundfünfzig Jahren seines Lebens hatte es kaum eine Nacht gegeben, in der er nicht leicht und rasch in den Schlaf gefunden hatte.
    Zwei Stunden später aber erwachte seine Frau, weil er nicht mehr schnarchte. Und als sie ihn schüttelte, war er schon kalt.

    *

    Gewiss dachte Laura d’Oriano oft daran, dass es ihre Pflicht wäre, nach Bottighofen zu ihren Töchtern und zu Emil Fraunholz zurückzukehren. Besonders während der langen Nachmittage hinter dem Verkaufstresen, wenn wenig Kundschaft in den Laden kam und die Stunden zwischen den Damen- und Herrenhüten zäh vergingen, beschlich sie zuweilen ein Gefühl, als erwache sie aus tiefem Schlaf und befinde sich unerklärlicherweise zur falschen Zeit am falschen Ort in Gesellschaft fremder Menschen, mit denen sie nichts zu schaffen hatte. Manchmal war sie nahe daran, ihre Tasche und den Mantel unter den Arm zu nehmen und ohne ein Wort des Abschieds fortzugehen; aber weil sie nicht wusste, wohin sie gehen sollte und zu wem, tat sie es nie.
    Eines wusste sie mit Sicherheit: dass sie niemandem etwas Gutes täte, wenn sie zurück nach Bottighofen ginge – ihren Töchtern ganz gewiss nicht, die am beschaulichen Bodensee unter der Obhut der Großmutter heranwuchsen zu wohlgenährten, friedfertigen und fleißigen Thurgauer Bauernmädchen; ihrem Ehemann auch nicht, der seine Eifersucht und den Trennungsschmerz umso leichter verwinden würde, je weniger Laura sich blicken ließ; und sich selber auch nicht, weil sie es niemals über sich bringen würde, ihr Leben in Holzschuhen als Thurgauer Hausfrau zwischen Apfelbäumen und

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