Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
entgegengesetztem Ende anderntags wohl der Bauer mit dem roten Traktor auf sie wartete.
Die in Bordeaux stationierte italienische U -Boot-Flottille aber hatte, obwohl sie unvermindert weiter Einsätze fuhr, in den folgenden Monaten keine Verluste mehr zu beklagen.
*
Dann musste die Atombombe, weil sie nun mal ausgedacht war, auch gebaut werden.
Felix Bloch hatte seit Kriegsbeginn keinen Kontakt mehr zu seinen Physikerfreunden in Deutschland gehabt. Aber zweifellos hatte er in der Zeitung gelesen, dass Heisenberg und von Weizsäcker in Berlin an einer Uranmaschine arbeiteten, und vielleicht hatte er auch erfahren, dass die beiden während ihres letzten Besuchs bei Niels Bohr in Kopenhagen vom nahen Endsieg und der biologischen Notwendigkeit des Krieges gesprochen hatten. Möglicherweise wusste er auch, dass von Weizsäcker in Berlin ein Patent für eine Plutoniumbombe beantragt hatte, und dass die Wehrmacht auf ihrem Raubzug durch Europa alles greifbare Uran zusammenkarrte. Zwar war spätestens seit Pearl Harbour und allerspätestens seit Stalingrad jedem vernünftigen Menschen klar, dass Deutschland einem Schachspieler ähnelte, der zwei Türme weniger auf dem Brett hat als der Gegner; aber eine Atombombe, das war ebenso klar, würde die beiden Türme wieder ins Spiel bringen. Und vielleicht eine Dame obendrein.
So war die Lage, als an einem Frühlingstag des Jahres 1943 Robert Oppenheimer nach Palo Alto kam und Felix Bloch bat, auch in diesem Jahr auf Sommerferien am Strand zu verzichten und stattdessen mit ihm in die Wüste New Mexicos zu fahren, um an einem geheimen Ort, der auf keiner Landkarte verzeichnet war, eine Atombombe zu bauen. Und zwar nicht nur über den Sommer, sondern für den Rest des Jahres und darüber hinaus, auf unbestimmte Zeit.
Man weiß nicht, wie Blochs erste Antwort ausfiel. Man weiß nicht, ob Oppenheimer ihm diese Bitte an der Universität oder zu Hause an der Emerson Road vortrug, und ob das Treffen am Morgen, am Nachmittag oder am Abend stattfand. Man weiß nicht, ob Felix’ Ehefrau Lore dabei war, und auch nicht, ob die Zwillinge noch wach waren oder ob sie schon schliefen. Man weiß nicht, ob das Gespräch im Garten, auf der Veranda oder drinnen im Haus stattfand, oder ob sie einen Spaziergang unternahmen, um vor unerwünschten Mithörern sicher zu sein.
Man weiß auch nicht, ob es ein kurzes oder ein langes Gespräch war, ein karger Männerdialog oder die leidenschaftliche Debatte zweier Gelehrter, die um den tiefsten Sinn ihrer Wissenschaft stritten. Man weiß nichts über dieses Gespräch, das doch das wichtigste und schwerste in Felix Blochs Leben gewesen sein muss, weil er in jener Stunde eine verbindliche Antwort auf die Frage finden musste, ob er es – ja oder nein? – vor seinem Gewissen verantworten konnte, im Dienste der Freiheit, der Menschlichkeit und des Weltfriedens über die schrecklichste Tötungsmaschine der Menschheitsgeschichte nicht nur nachzudenken, sondern diese tatsächlich zu konstruieren; und ob er als europäischer Jude – ja oder nein? – berechtigt oder gar verpflichtet war, den Völkermord der Nazis mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen, und sei es mit der Anfertigung einer Massenvernichtungswaffe, die in ihrer egalitären Effizienz Fritz Habers Giftgas aus dem Ersten Weltkrieg um ein Vielfaches übertreffen würde.
Man weiß nichts darüber, weil Felix Bloch in seinen gesamten nachgelassenen Schriften, die viele tausend Seiten umfassen, diese Gewissensfrage mit keinem Wort erwähnt. In keinem seiner Aufsätze, Briefe und Notizblätter, die er sorgsam geordnet zuhanden der Nachwelt in der Stanford Library hinterlassen hat, findet sich ein Wort von ihm über die Atombombe. Derart gründlich bleibt das Thema ausgespart – derart sorgsam, ist man versucht anzunehmen, wurde jedes dazugehörige Stück Papier entfernt –, dass noch nicht mal der Name Oppenheimers, der doch zehn Jahre lang sein engster Freund und wissenschaftlicher Vertrauter war, Erwähnung findet.
Trotzdem lässt sich das Wichtigste über jenes Gespräch mit Sicherheit festhalten: Erstens, dass es tatsächlich stattgefunden hat, und zweitens, dass Felix Bloch seine zwei Gewissensfragen mit Ja und mit Ja beantwortete. Und falls er sich gefragt haben sollte, ob dreihundert Jahre physikalischer Forschung ihren Höhepunkt wirklich im Bau einer Atombombe finden sollten, wird Oppenheimer seine Bedenken beiseitegeschoben haben mit der abschließenden Bemerkung,
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