Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
Italienerin sei. Und wenn Laura sich dann übergangslos bei den U -Boot-Matrosen erkundigte, ob das Leben unter Wasser sehr hart sei, holte jeder von ihnen tief Atem und begann zu erzählen.
Sie erzählten von der Hitze an Bord, der schlechten Luft und der unheimlichen Stille nach dem Abtauchen, wenn das U -Boot mit ausgeschalteten Maschinen auf dem Grund des Ozeans zwischen jahrhundertealten Schiffswracks lag und sich wochenlang totstellen musste, um den feindlichen Horchern zu entgehen. Sie erzählten von der unsäglichen Wonne des Auftauchens, wenn man endlich wieder an der frischen Luft auf Deck stand und einem die Gischt ins Gesicht spritzte, und vom bösen Jubel, wenn man einen Volltreffer gelandet hatte und zehntausend feindliche Bruttoregistertonnen mit Mann und Maus im Meer versanken.
Es war alles ganz einfach. Den Matrosen ging von allein der Mund über, und keiner hätte hinterher auf die Idee verfallen können, von Laura ausgefragt worden zu sein; denn tatsächlich stellte sie kaum Fragen, sondern ermunterte ihre Begleiter lediglich mit sporadischen Ausrufen des Erstaunens zum Weiterreden, wogegen diese wie alle Männer hilflos waren. Also redeten sie und redeten. Sie erklärten Laura, wie man ein U -Boot absinken und wieder auftauchen ließ, und wo die Luft zum Atmen herkam und wo die Betten für die Mannschaft sich befanden. Sie zählten auf, wie viele U -Boote im Hafenbecken von Bordeaux lagen – zur Zeit zweiunddreißig, aber nicht alle in gefechtsbereitem Zustand, und nur italienische, keine deutschen –, und sie nannten die Namen der Boote, auf denen sie schon Dienst geleistet hatten.
Ein paarmal ergab es sich, dass gerade ein U -Boot ein- oder auslief, während Laura mit einem Begleiter an der Hafeneinfahrt saß. Dann ließ sie sich den Turm mit der Einstiegsluke zeigen, beachtete die Tauchzellen an den Seiten und die versenkbaren Flak-Geschütze auf dem Deck, prägte sich deren Kaliber ein und nickte zu allem höflich interessiert. Wenn Laura aber einen Rundgang durch den scharf bewachten U -Boot-Hafen vorschlug, schüttelten ihre Begleiter bedauernd die Köpfe und baten sie in auswendig gelernten Sätzen um Verständnis. Strengste Geheimhaltung, Feind hört mit. Die schärfste und wichtigste Waffe eines U -Boots ist seine Unsichtbarkeit. Ein U -Boot, dessen Position oder Kurs der Feind kennt, ist so gut wie verloren.
Laura merkte sich alles, und abends machte sie in ihrem Zimmer Notizen. Zwei- oder dreimal wöchentlich schrieb sie Briefe an einen Freund in Toulouse, den sie noch nie gesehen hatte. Sonst hatte sie keine Pflichten. Samstags sang sie im »Singe Dansant« ihre Kosakenlieder. Sonntags fuhr sie mit dem Bus ans Meer, nach Lacanau oder Cap Ferret, und unternahm lange, einsame Spaziergänge durch die Dünen. Jener Sommer war lang und friedvoll in Aquitanien. Der Krieg war weit weg und das Wetter gut, und vom Ozean her wehte beständig eine frische Brise übers Land. Und wenn Laura vor der Rückfahrt nach Bordeaux an der Bushaltestelle von einem Matrosen erkannt wurde, ließ sie sich manchmal zu einem Teller Miesmuscheln und Pommes frites einladen.
Draußen auf dem Ozean aber tobte der Krieg, aufs Neue wurden weltweit ganze Flotten versenkt und Zehntausende von jungen Seeleuten in ihr nasses Grab geworfen. Man kann sich vorstellen, dass unter ihnen auch einige von Laura d’Orianos Begleitern waren, denn in jenem Sommer 1941 kehrten ungewöhnlich viele italienische U -Boote nicht von ihren Einsätzen nach Bordeaux zurück.
Die Glauco lief am 24. Juni 1941 in Richtung Mittelmeer aus, wurde drei Tage später in der Meerenge von Gibraltar angegriffen und sank westlich von Tanger. Acht Besatzungsmitglieder ertranken, zweiundvierzig gingen in Gefangenschaft.
Am 4. Juli brach die Michele Bianchi zu einer Mission mit unbekanntem Ziel auf, wurde aber gleich an der Gironde-Mündung mit allen sechzig Mann an Bord versenkt.
Die Maggiore Baracca wurde am 8. September vor Gibraltar versenkt. Achtundzwanzig Seeleute ertranken, zweiunddreißig gingen in Gefangenschaft.
Anfang Oktober 1941 lief die Guglielmo Marconi aus. Sie sank vor der Küste Portugals aus unbekannten Gründen mit allen sechzig Mann an Bord.
Im Oktober kam plötzlich der Herbst mit Stürmen und wochenlangem Regen über Aquitanien. Laura kündigte ihr Engagement im »Singe Dansant« und verabschiedete sich von der Zimmerwirtin. Dann ging sie mit ihrer Reisetasche südwärts in den großen Pinienwald, an dessen
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