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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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dass es jenseits aller philosophischen Erörterungen in der aktuellen geostrategischen Lage letztlich nur um eines gehe – um die Frage nämlich, wer zuerst über die Bombe verfüge: Hitler oder Amerika.
    Dieses Gespräch muss so oder ganz ähnlich stattgefunden haben. Denn Tatsache ist, dass Lore und Felix Bloch im Frühsommer 1943 – vielleicht Ende Juni, zu Beginn der Semesterferien – die Koffer packten und mit ihren Zwillingen, die nun zweieinhalb Jahre alt waren, zu einer Reise in die Wüste New Mexicos aufbrachen.
    Oppenheimer hatte Bloch aus Gründen der Geheimhaltung angewiesen, an der kleinen Bahnstation von Palo Alto nicht gleich Fahrkarten nach Santa Fe zu kaufen, sondern jeweils beim Umsteigen in Bakersfield, Albuquerque und Lamy neue Scheine zu lösen. Die Fahrt dauerte insgesamt vierundvierzig Stunden. Am späten Morgen des dritten Reisetages trafen Felix Bloch und die Seinen in der alten Hauptstadt New Mexicos ein.
    Damals war Santa Fe noch eine friedliche spanische Kleinstadt aus längst vergangenen Zeiten. Auf der Plaza standen alte, schattenspendende Bäume, darunter gab es gusseiserne Parkbänke, auf denen zu jeder Tageszeit Männer jeden Alters ihre Siesta abhielten. Kleine Gruppen junger Frauen mit schwarzen Haaren, grellroten Lippen und bunten Röcken paradierten um den Obelisk in der Mitte des Parks und sahen sich scheu nach eventuellen Bewunderern um. Autos gab es kaum, vor dem »La Fonda Hotel« waren Reitpferde und Maulesel festgebunden. Auf den Stufen der Franziskus-Kathedrale spielten Kinder, auf der Veranda des Gouverneurspalasts saßen Indianerfrauen, die ihre Babys mit bunten Tüchern auf den Rücken gebunden hatten und Töpferwaren und Schmuck feilboten.
    Im Sommer 1943 trafen in der verschlafenen Stadt ungewöhnlich viele Fremde ein. Die meisten waren bleichgesichtige Stadtmenschen aus dem Norden, von denen kaum einer Spanisch konnte und viele Englisch mit europäischen Akzenten sprachen. Manche waren allein und manche zu zweit, viele hatten Kinder dabei und schleppten nebst ihren Koffern sonderbare Gegenstände wie Besen, Eimer, Spiegel, Topfpflanzen oder Kinderwagen mit sich.
    Jeden Morgen wartete auf diese Stadtmenschen an der East Palace Avenue ein alter Schulbus, auf dem in leuchtend roter Schrift » US Army« stand. Ein stämmiger Soldat ging den Hausfrauen beim Einladen ihres Hausrats zur Hand und ließ sich gutmütig von ihnen herumkommandieren. Wenn alles sicher an Bord verstaut war, hievte er sich hinters Steuer und band den Türgriff mit einem Hanfseil am Armaturenbrett fest. Dann legte er den ersten Gang ein und fuhr los.
    Der Bus war reserviert für Robert Oppenheimers Gäste, über tausend unternahmen im Frühsommer 1943 die zweistündige Fahrt hinauf nach Los Alamos. Es waren vor allem Physiker mit ihren Familien, aber auch Chemiker, Sprengstoffexperten, Biologen, Feinmechaniker, Elektroingenieure, Ballistiker und Metallurgen. Die Schotterstraße führte über rote Erde an lila Felsen und ockerfarbenen Klippen vorbei in nordwestlicher Richtung hinauf zum ehemaligen Knabeninternat von Los Alamos, das auf zweitausenddreihundert Metern über dem Meer am Kraterrand eines gewaltigen erloschenen Vulkans lag. In der Ferne zogen sich lavendelfarben die südlichsten Ausläufer des Sangre-de-Cristo-Gebirges hin, daneben lag düster der schwarze Basalt des Black-Mesa-Tafelbergs. In den Felsen gab es indianische Pueblos. Manche waren verlassen und zerfallen, andere bewohnt. Da und dort hingen rote Pfefferschoten zum Trocknen an den Lehmwänden, auf den Vorplätzen lag gelber, blauer, weißer und schwarzer Mais in der Sonne.
    Eine schmale Holzbrücke führte über die roten Fluten des Rio Grande, dann ging es steil bergan. Kakteen blühten, Klapperschlangen verkrochen sich im Wüstenbeifuß. Dann plötzlich hinter einer Kurve dröhnten in gewaltigen Staubwolken riesige Bulldozer der US Army, welche die lila Felsen und die ockerfarbenen Klippen abgruben, um die Straße für den Schwerverkehr zu begradigen.
    Endlos quälte sich der Bus den Berg hinauf. Als er am Rand des Kraters angekommen war, führte die Straße geradeaus nach Los Alamos, das in wenigen Wochen jede Ähnlichkeit mit einem Knabeninternat verloren hatte und zu einer Barackenstadt für tausend Einwohner angewachsen war. Die Stadt war in einem Umkreis von sechs Kilometern lückenlos mit Stacheldraht umfasst, im Osten und im Westen gab es je ein Eingangstor und eine Straßensperre. Militärpolizisten mit

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