Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
diese zumindest überflüssig erscheinen lassen. Die erste Gewissensfrage zum Beispiel – ob man eine Atombombe bauen dürfe, nur weil man es konnte – hatte sich erübrigt, seit man zu diesem Zweck ganze Städte aus dem Boden gestampft, Milliarden von Dollar budgetiert und hundertfünfzigtausend Menschen in Dienst genommen hatte. Ein Abbruch des Unternehmens war allein schon aus finanziellen Gründen nicht mehr möglich.
Die zweite Gewissensfrage – ob man eine Atombombe zur Explosion bringen dürfe, nur weil man sie besaß – stand zwar noch nicht zur Debatte, aber Felix Bloch ahnte, dass auch sie schon beantwortet war. Die Bombe war nun in der Welt. Sie würde gebaut werden und zur Explosion kommen. Das zu verhindern lag nicht mehr in seiner Macht und auch nicht in jener Robert Oppenheimers, und nicht einmal die vereinten Kräfte aller Wissenschaftler von Los Alamos hätten jetzt noch dagegen anzugehen vermocht. Wahrscheinlich wäre die Bombe sogar dann gebaut worden, wenn durch ein Wunder der Weltgeschichte Roosevelt, Churchill, Hitler, Stalin und Hirohito zu einer Friedenskonferenz zusammengefunden hätten, um gemeinsam und aufrichtig immerwährenden Verzicht zu schwören.
Neu stellte sich aber die Frage, gegen wen Amerika die neue Waffe eigentlich richten würde. Bis vor kurzem war es für jeden Einwohner von Los Alamos selbstverständlich gewesen, dass ein B29 -Bomber sie über Deutschland abwerfen würde, um den Holocaust zu stoppen und den Weltkrieg zu beenden. Im Herbst 1943 aber war das nicht mehr so klar. Denn immer deutlicher war abzusehen, dass die Alliierten den Krieg mit oder ohne Atombombe gewinnen würden. Amerikanische und britische Truppen waren in Sizilien gelandet, Mussolini war entmachtet, die japanische Marine seit der Schlacht um Midway auf dem Rückzug. Alliierte Bomber hatten in Hamburg einen Feuersturm entfacht, die sowjetischen Truppen trieben die Wehrmacht in den Westen zurück.
Auf Hitlers Schachbrett fehlten inzwischen nicht nur zwei Türme, sondern auch beide Läufer, und er hatte keine Chance mehr, mit Atomkraft eine Dame ins Spiel zurückzubringen. Zwar arbeiteten Heisenberg, von Weizsäcker und Hahn in Berlin weiter an ihrer Uranmaschine, aber es war nun offensichtlich, dass das kriegserschöpfte Deutschland niemals über die notwendige Menge an Energie, Arbeitskräften und Rohstoffen verfügen würde, um vor Kriegsende ausreichend Plutonium oder Uran 235 herzustellen.
So war die Lage, als Felix Bloch seine Arbeit an der Implosionszündung abschloss, für die Oppenheimer ihn nach Los Alamos geholt hatte. Alle anderen arbeiteten unter Hochdruck weiter. Felix hätte nun eine neue Aufgabe übernehmen sollen, denn es gab noch viele kleine Rechenaufgaben zu lösen. Aber das waren Rechnungen, die jeder Physikstudent anstellen konnte. Dafür brauchte Oppenheimer ihn nicht.
Von Tag zu Tag stieg die Wahrscheinlichkeit, dass der Krieg vorbei sein würde, bevor die Bombe einsatzbereit war. Sonntags gingen Lore und Felix nun in die Wildnis und suchten den Klang des Schweigens abseits des Weltenlärms. Die Zwillinge ließen sie in der Obhut der Nachbarn zurück, ein Auto borgten sie von den Tellers. Weil in den Bergen schon Schnee lag, fuhren sie durchs westliche Stadttor und dann achtzehn Kilometer durchs Valle Grande, dessen dichtes, grünes Gras auf dem Grund eines alten Vulkans wuchs. Am Eingang in den Frijoles Canyon ließen sie den Wagen stehen und wanderten in der engen Schlucht zwischen Gelbkiefern, Stechfichten und Zitterpappeln dem Bach entlang, wo Eichhörnchen, Waschbären und Skunks noch keine Scheu vor Menschen hatten und die Ponderosa-Kiefern auf der Suche nach Licht höher wuchsen als anderswo.
In den senkrecht hochschießenden Felswänden waren da und dort verlassene Wohnhöhlen zu sehen, die längst ausgestorbene Indianervölker über Jahrhunderte in den weichen Tuffstein gegraben hatten. Jetzt waren Lore und Felix allein. Bis hierher folgten die Geheimdienstleute ihnen nicht, da im Canyon eine Kontaktaufnahme mit der Außenwelt praktisch unmöglich war.
Wenn sie Rast machten und sich still verhielten, konnten sie das Rasseln der herbstmüden Klapperschlangen hören, die sich ein Plätzchen für den Winterschlaf suchten. Und wenn sie am Ende der Schlucht angelangt waren, wo der Frijoles in den Rio Grande mündete, blieben sie stehen und betrachteten ehrfürchtig den roten Strom und die weißen Sandbänke und die noch immer blühenden Kakteen.
Es muss an einem der
Weitere Kostenlose Bücher