Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
Vom Netzwerk:
Geld riechen kannst, bist du ziemlich dünn, hatte Stave gedacht, aber sich jede Bemerkung verkniffen und seinem Nachbarn noch einen schönen Sonntag gewünscht – und dann die Tür für ihn aufgeschlossen.
    Auf dem Weg zur Zentrale geht er im Geiste noch einmal das Gespräch durch. Wenn das neue Geld schon in Deutschland ist, dann wird es bald ausgegeben. Wie lange mag so etwas dauern? Noch ein paar Wochen? Ein paar Tage? Ein Jahr? Er kann sich nicht vorstellen, was es ändern sollte, einen alten Schein von einer Mark durch einen neuen Schein von einer Mark zu ersetzen. Warum ist der alte nichts wert und der neue doch? Andererseits: Als er neunzehn Jahre alt und gerade in die Polizei eingetreten war, war er gleich Milliardär geworden, mit seinem ersten selbst verdienten Geld: 1923 druckten die Notenpressen Reichsmarkscheine waschkörbeweise, sein Gehalt war wöchentlich ausgezahlt worden. Zuerst Millionen, dann Milliarden, dann Billionen. Ein Witz mit vielen Nullen. Eine Zeitung oder ein Ei, Pfennigartikel noch ein paar Monate zuvor, hatten plötzlich so viel gekostet, dass man mit dem Finger die Nullen nachzählen musste, um überhaupt festzustellen, ob es nur zehn oder schon hundert Millionen waren. Staves Stolz auf sein Gehalt war rasch zu zynischer Verachtung verlodert. Kinder hatten sich aus zusammengeklebten 1000-Reichsmark-Scheinen Drachen gebastelt, die Nachbarn seiner Eltern hatten mit Bündeln Ritzen in den Türen abgedichtet. Und dann war über Nacht eine neue Mark eingeführt worden – und alles war wieder normal gewesen. Normale Preise, keine Inflation, es war, als wäre das alles bloß ein böser Spuk gewesen. Der Oberinspektor hatte nie verstanden, warum das damals funktioniert hatte. Und er hatte Jahre gebraucht, um den Impuls zu unterdrücken, sein Geld sofort komplett auszugeben, bevor es die Woche darauf schon nichts mehr wert sein könnte. Wenn das 1923 geklappt hatte, mochte das 1948 auch wieder gut gehen.
    Er verliert sich in Erinnerungen, während er mit kräftigen Schritten die Ahrensburger Straße entlanggeht. Aus manchen Ruinenhaufen wäscht der Regen braune, schmierige Ströme heraus, die über den rissigen Bürgersteig gurgeln. Er weicht ihnen aus, um seine Schuhe nicht zu ruinieren. An die chaotische Weimarer Republik denkt er, die ihm nie so schlimm vorgekommen war. Vielleicht, weil er seine jungen Jahre in ihr verlebt hatte. Mit Margarethe. Mit Karl, als der noch ein fröhlicher Junge gewesen war. Irgendwann wandern seine Gedanken zur Bombennacht 1943. Zur Kriegsgefangenschaft seines Sohnes. Zu Anna. Und irgendwann fällt Stave auf, dass der einzige Mensch, mit dem er am vergangenen Wochenende geredet hat, jener angetrunkene kleine Beamte der Landeszentralbank war, den er heimlich ausgeforscht hatte. So ist er erleichtert, als er endlich am bronzenen Elefanten vorbei das Portal am Karl-Muck-Platz aufstößt.
    Noch auf dem Flur fängt Bahr den Oberinspektor ab. »Wir sollen zu Cuddel Breuer«, informiert ihn der Leiter vom Chefamt S.
    »Ist der Chef so unzufrieden mit uns?«
    »Dann wäre er ein sehr unzufriedener Mann. Er lässt alle Beamten antanzen.«
    Etliche Dutzend verschlafene Beamte drängen sich bereits im größten Besprechungsraum der Zentrale. Einige Kollegen zeigen verknautschte Montagmorgengesichter und mehr, als es für diesen stickigen Raum gut wäre, stinken nach Schweiß oder Schnaps. Trotzdem öffnet niemand ein Fenster, denn der Sturm peitscht Regenschlieren über das Glas. Viele haben sich, wie Stave, nasse Mäntel über die Arme gelegt, weil sie keine Zeit mehr hatten, in ihre Büros zu gehen.
    Cuddel Breuer kommt herein, er sieht frischer aus als alle Untergebenen. »Kinder«, ruft er, »wir machen einen Ausflug.«
    Eine halbe Stunde später verteilen sich eine Hundertschaft Schupos und Dutzende missgelaunte Krimsches in nassen Mänteln um das Rathaus und das Gebäude der Landeszentralbank. Ein Klotz von einem Gebäude rechts neben dem Rathaus, solide wie ein gigantischer Tresor, hellgrau. Oben prangt im Giebel neben dem Wappen noch die Inschrift »Reichsbank« und, als wäre es eine Münze mit Emissionsdatum, die Jahre der Errichtung: »1914   –   17«. Darunter blicken fünf Steinfiguren grimmig auf den Platz, in ihrer Mitte ein Hansereeder, der ein Schiffsmodell trägt.
    »So viele Polizisten standen nicht mehr vor dem Rathaus, seit der Führer in Hamburg gesprochen hat«, murmelt Bahr, der neben Stave getreten ist. Beide haben ihre Kragen hochgeschlagen

Weitere Kostenlose Bücher