Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
Vom Netzwerk:
hinter die Ohren. Sie hat reizende
    kleine Ohren. Im Winter werden die Haare ziemlich lang. Manchmal macht ihr meine Mutter Zöpfe,
    manchmal auch nicht. Es sieht immer sehr hübsch aus. Sie ist erst zehn. Sie ist mager, so wie
    ich, aber nicht häßlich mager. Rollschuhlaufmager, das ist sie. Ich habe ihr einmal vom Fenster
    aus nachgesehen, als sie über die Fifth Avenue zum Park ging, und da wußte ich plötzlich: Sie
    ist rollschuhlaufmager. Jeder mußte sie gern haben. Wenn man ihr etwas erzählt, weiß sie genau,
    von was man redet. Man kann sie überallhin mitnehmen. Wenn man zum Beispiel mit ihr in einen
    schlechten Film geht, weiß sie, daß es ein schlechter Film ist.
Wenn man mit ihr in einen guten Film geht, weiß sie, daß es ein guter Film ist. D.B. und ich
    nahmen sie einmal in den französischen Film La femme de boulanger mit, in dem Raimu
    spielte. Den fand sie fabelhaft. Ihr Lieblingsfilm ist aber Neununddreißig Stufen mit
    Robert Donat. Sie kann den ganzen verdammten Film auswendig, weil ich ihn ungefähr zehnmal mit
    ihr gesehen habe. Wenn Donat zum Beispiel in das schottische Bauernhaus kommt, als er auf der
    Flucht ist, sagt Phoebe laut - genau an der richtigen Stelle: »Können Sie den Hering
    essen?«
Sie kann den ganzen Dialog auswendig. Und wenn der Professor, der eigentlich ein deutscher
    Spion ist, Robert Donat einen kleinen Finger hinhält, an dem ein Teil des Mittelgliedes fehlt,
    kommt ihm Phoebe zuvor: sie hält mir im Dunkeln ihren kleinen Finger vor die Nase. Sie ist in
    Ordnung. Man muß sie gern haben. Ihre einzige Schwäche ist nur, daß sie manchmal ein bißchen zu
    gefühlvoll ist. Für ein Kind ist sie sehr emotional.
Im Ernst. Übrigens schreibt sie die ganze Zeit über Bücher.
Nur macht sie sie nie fertig. Alle handeln von einem Mädchen namens Hazel Weatherfield - Phoebe
    schreibt das allerdings »Hazle«. Hazle Weatherfield ist Detektivin. Sie ist angeblich eine
    Waise, aber ihr Vater taucht fortwährend auf. Er ist ein »großer, sympathischer Herr von
    ungefähr zwanzig Jahren«.
Das wirft mich jedesmal um.
Diese gute alte Phoebe. Ich schwöre, daß sie jedermann gefallen würde. Schon als ganz kleines
    Kind war sie toll.
Damals gingen Allie und ich manchmal mit ihr in den Park, besonders sonntags.
Allie hatte ein Segelboot, mit dem er sonntags gern spielte, und wir nahmen immer Phoebe mit.
    Sie hatte weiße Handschuhe und ging zwischen uns, ganz wie eine Dame. Und wenn Allie und ich
    über irgend etwas redeten, hörte Phoebe zu. Manchmal vergaßen wir sie, weil sie noch so klein
    war, aber sie machte sich bald bemerkbar. Sie unterbrach uns fortwährend. Sie stieß mich oder
    Allie an und fragte: »Wer? Wer hat das gesagt? Bobby oder die Dame?« Und dann erklärten wir es
    ihr, und sie sagte »Ach so« und hörte weiter zu. Allie hatte sie auch furchtbar gern. Jetzt ist
    sie zehn und nicht mehr so klein, aber immer noch sind alle begeistert von ihr - jedenfalls
    alle, die nicht vollkommen verblödet sind. Phoebe ist so eine, mit der man gern telefoniert.
    Aber ich war zu bange, meine Eltern könnten ans Telefon kommen und herausfinden, daß ich in New
    York war und von Pencey geflogen war und so. Deshalb zog ich mich nur fertig an. Dann fuhr ich
    mit dem Lift in die Halle, um zu sehen, was unten los war. Bis auf ein paar Zuhältertypen und
    ein paar hurenhaft aussehende Blondinen war die Halle ziemlich leer.
Aber da ich aus dem Lavendel-Saal Tanzmusik hörte, ging ich dorthin. Obwohl es nicht sehr voll
    war, gaben sie mir einen schlechten Tisch ganz weit hinten. Ich hätte dem Kellner eine
    Dollarnote vor der Nase herumschwenken sollen. In New York kommt es nur auf Geld an, im
    Ernst.
Die Kapelle war zum Kotzen. Buddy Singer, aber viel Blech, ohne Stil und kitschig. Außerdem sah
    ich nur wenige Leute in meinem Alter. Eigentlich überhaupt keine. Die meisten waren betagte
    Angeber mit ihren Damen. Nur am Nebentisch nicht.
Am rechten Nebentisch saßen diese drei ungefähr dreißigjährigen Mädchen. Alle drei waren
    ziemlich häßlich und hatten diese Hüte auf, die verrieten, daß sie nicht in New York lebten,
    aber eine von ihnen, eine blonde, war nicht zu übel. Sie sah sogar ganz annehmbar aus, und ich
    fing an ihr Augen zu machen, aber dann kam der Kellner an meinen Tisch. Ich bestellte einen
    Whisky mit Soda und sagte, er solle ihn nicht mischen. Das sagte ich, so schnell ich nur
    konnte, denn wenn man herumzögert, meinen sie, man sei unter einundzwanzig, und

Weitere Kostenlose Bücher