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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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Dann legte ich mich ins Bett. Es
    dauerte ziemlich lange, bis ich einschlief - ich war nicht einmal müde -, aber endlich gelang
    es mir doch. Im Grund hätte ich am liebsten Selbstmord begangen. Ich wäre gern aus dem Fenster
    gesprungen.
Wahrscheinlich hätte ich das auch getan, wenn ich sicher gewesen wäre, daß mich jemand zudecken
    würde, sobald ich unten ankäme. Ich wollte mich nur nicht von lauter Gaffern anglotzen lassen,
    wenn ich zerschmettert am Boden läge.

14. Kapitel
    Ich schlief nicht besonders lang, denn es war erst ungefähr zehn Uhr, als ich aufwachte. Ich
    hatte ordentlich Hunger und zündete mir eine Zigarette an. Das letzte, was ich gegessen hatte,
    waren die zwei Würstchen gewesen, als ich mit Brossard und Ackley nach Agerstown gefahren war.
    Das war schon lange her. Es schien vor fünfzig Jahren gewesen zu sein. Das Telefon stand in
    Reichweite neben mir, und ich wollte mir eigentlich das Frühstück heraufschicken lassen, aber
    dann hatte ich Angst, daß Maurice es bringen würde. Falls jemand denkt, ich hätte mich nach
    einem Wiedersehen mit ihm gesehnt, so täuscht er sich. Ich blieb also weiter im Bett liegen und
    rauchte noch eine Zigarette.
Zuerst wollte ich bei Jane anrufen, um zu sehen, ob sie schon zu Hause sei, aber ich war nicht
    in der richtigen Stimmung.
Statt dessen rief ich Sally Hayes an. Von ihr wußte ich, daß sie in New York war, weil sie mir
    vor ein paar Wochen geschrieben hatte. Ich war nicht besonders scharf auf sie, aber ich kannte
    sie immerhin seit Jahren. In meiner Dummheit hatte ich sie immer für recht intelligent
    gehalten. Und zwar deshalb, weil sie in bezug auf Theater und Literatur und so weiter ziemlich
    gebildet war. Wenn jemand sich mit diesem Zeug auskennt, dauert es lange, bis man herausfindet,
    ob er eigentlich intelligent oder dumm ist. Bei Sally brauchte ich Ewigkeiten dazu. Vermutlich
    hätte ich es viel rascher herausgefunden, wenn wir nicht so blöd geflirtet hätten. Meine große
    Schwäche ist, daß ich ein Mädchen, mit dem ich gerade flirte, immer für intelligent halte.
    Intelligenz hat nicht das geringste damit zu tun, aber ich bilde es mir jedesmal ein.
Jedenfalls rief ich sie also an. Zuerst kam das Dienstmädchen ans Telefon. Dann ihr Vater. Dann
    kam sie selber. »Sally?« sagte ich.
»Ja, wer ist am Telefon?« fragte sie. Reichlich affektiert.
Denn ich hatte schon ihrem Vater meinen Namen genannt.
»Holden Caulfield. Wie geht's?«
»Holden! Sehr gut, danke. Und dir?«
»Glänzend. Aber wie geht's dir im Ernst? Ich meine, wie geht es mit der Schule?«
»Sehr gut. Ach, du weißt schon.«
»Schön. Also, ich wollte nämlich fragen, ob du heute frei wärest. Es ist zwar Sonntag, aber es
    gibt ja immer irgendeine Matinee. Wohltätigkeitsvorstellungen und so 'n Zeug. Hättest du Lust
    dazu?«
»Ja, sehr gern. Großartig.«
Großartig. Dieses Wort ist mir wirklich verhaßt. Es klingt so unecht. Eine Sekunde lang hätte
    ich ihr am liebsten gesagt, wir wollten doch in keine Matinee gehen. Aber wir schwätzten eine
    Weile so weiter. Das heißt, sie allein schwätzte. Man kam bei ihr nicht zu Wort. Zuerst
    erzählte sie mir von irgendeinem Harvard-Studenten, wahrscheinlich irgendein grüner Junge (aber
    das sagte sie natürlich nicht), der hinter ihr her sei. Er riefe sie Tag und Nacht an. Tag und
    Nacht - das gab mir den Rest.
Dann redete sie von einem andern, einem Kadetten in West Point, der sich ihretwegen ebenfalls
    beinah umbrachte.
Überwältigend. Ich sagte, sie solle mich um zwei an der Garderobe im Biltmore treffen, aber
    pünktlich, weil die Vorstellung um halb drei anfange. Sie kam immer zu spät. Dann hängte ich
    ein. Sie verursachte mir Magenkrämpfe, aber sie sah sehr gut aus.
Nach dieser Verabredung stand ich auf und zog mich an und packte meine Koffer. Bevor ich aus
    dem Zimmer ging, schaute ich noch zum Fenster hinaus, um zu sehen, was alle die perversen Leute
    trieben, aber die Jalousien waren herunter.
Morgens waren sie vorbildlich diskret. Dann fuhr ich im Lift hinunter und zahlte und ging weg.
    Maurice sah ich nirgends. Ich verrenkte mir natürlich auch nicht den Hals nach ihm.
Draußen nahm ich ein Taxi, obwohl ich noch nicht die leiseste Ahnung hatte, wohin ich wollte.
    Ich konnte nirgends hin. Es war erst Sonntag, und ich konnte mich nicht vor Mittwoch oder
    frühestens Dienstag zu Hause zeigen. Und auf keinen Fall wollte ich in ein anderes Hotel gehen
    und mich vollends erledigen lassen. Ich sagte also zum Fahrer, er

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