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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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bin ich Ihnen schuldig!« sagte ich. »Wenn Sie mich anrühren, schreie ich, und zwar
    laut. Ich wecke das ganze Hotel auf. Die Polizei und alle.« Meine Stimme schwankte
    wahnsinnig.
»Nur los. So laut Sie können. Fein«, sagte Maurice. »Sie wollen wohl, daß Ihre Eltern hören,
    daß Sie eine Hure bestellt haben? So ein Herrensöhnchen wie Sie?« Auf seine eigene Art war er
    nicht dumm, das muß man sagen.
»Lassen Sie mich in Ruhe. Wenn Sie zehn Dollar gesagt hätten, wäre es etwas anderes. Aber Sie
    haben deutlich -«
»Wollen Sie jetzt vielleicht damit herausrücken?« Er hatte mich bis an die Tür gedrängt. Er
    stand mit seinem widerwärtig behaarten Bauch ganz dicht vor mir.
»Lassen Sie mich in Ruhe. Scheren Sie sich zum Teufel!« sagte ich. Die Arme hatte ich immer
    noch verschränkt. Großer Gott, ich war ein schöner Schwächling.
Dann mischte sich Sunny zum erstenmal ein. »He, Maurice. Soll ich seine Brieftasche holen?«
    fragte sie. »Sie liegt dort drüben.«
»Ja, hol sie.«
»Lassen Sie meine Brieftasche liegen!«
»Hab sie schon«, sagte Sunny. Sie schwenkte eine Fünf-Dollar-Note. »Da, sehen Sie? Ich nehme
    nur die fünf, die Sie mir schuldig sind. Wir sind keine Diebe.«
Plötzlich fing ich an zu heulen. Ich gäbe viel darum, wenn ich nicht geheult hätte, aber ich
    konnte nichts dagegen tun. »Nein, Sie sind keine Diebe«, sagte ich. »Sie stehlen mir nur
    fünf-«
»Maul halten«, sagte Maurice und gab mir einen Stoß.
»Laß ihn jetzt, he du«, sagte Sunny. »He, komm jetzt. Wir haben ja das Geld, das er uns
    schuldig gewesen ist. Komm, wir gehn.«
»Ich komme«, sagte Maurice. Aber er blieb noch vor mir stehen.
»Im Ernst, Maurice, laß ihn jetzt.«
»Es passiert niemand etwas«, sagte er unschuldig. Dann boxte er mich zum drittenmal, ich sage
    niemand, wohin er mich schlug, aber es tat höllisch weh. Ich sagte, er sei ein verfluchter,
    gemeiner Idiot. »Was?« fragte er. Dabei hielt er wie ein Schwerhöriger die Hand ans Ohr. »Was?
    Was bin ich?«
Ich heulte immer noch halb. Ich war so wütend und außer mir und ich weiß nicht was. »Sie sind
    ein dreckiger Idiot«, sagte ich.
»Ein blöder Betrüger sind Sie, ein gemeiner Idiot, und in zwei Jahren sind Sie einer von den
    zerlumpten Lümmeln, die auf der Straße betteln. Ihre dreckige Jacke ist dann voll von -«
Daraufhin machte er Ernst. Ich versuchte ihm nicht einmal auszuweichen oder mich zu ducken oder
    so. Ich spürte nur einen kolossalen Schlag in den Magen. Ich wurde aber nicht ohnmächtig, denn
    ich erinnere mich, daß ich vom Boden aufschaute und beide hinausgehen sah. Dann blieb ich
    ziemlich lang auf dem Boden liegen, so wie an dem Abend mit Stradlater.
Nur dachte ich diesmal, ich wäre im Sterben. Tatsächlich. Es war wie ein Ertrinken oder so
    ähnlich. Ich bekam keine Luft mehr. Als ich schließlich aufstand, mußte ich ganz
    zusammengekrümmt ins Badezimmer gehen und mir den Magen halten.
Aber ich bin wohl wahnsinnig. Wirklich wahnsinnig. Auf dem Weg ins Badezimmer fing ich an so zu
    tun, als ob ich eine Kugel im Leib hätte. Maurice hatte mich angeschossen. Jetzt schleppte ich
    mich ins Badezimmer, um mich mit einem tüchtigen Schluck Whisky oder so zu stärken und erst
    richtig aktionsfähig zu werden. Ich stellte mir vor, wie ich fertig angezogen und mit meinem
    Revolver in der Tasche aus dem Badezimmer kommen würde, kaum merklich schwankend.
Dann ginge ich zu Fuß die Treppe hinunter, anstatt den Lift zu nehmen. Ich hielte mich am
    Geländer, während mir von Zeit zu Zeit etwas Blut aus dem Mundwinkel flösse. Ich ginge ein paar
    Stockwerke weit hinunter - die Hände auf den Leib gepreßt und Blutspuren hinterlassend -, und
    dann würde ich am Lift läuten.
Sobald Maurice die Lifttüren zurückschöbe, sähe er mich mit dem Revolver in der Hand dastehen
    und finge mit einer hohen angsterfüllten Stimme an zu schreien, daß ich ihn verschonen möge.
    Aber ich schösse trotzdem auf ihn. Sechs Kugeln in seinen fetten behaarten Bauch. Dann würde
    ich den Revolver in den Liftschacht werfen, nachdem ich alle Fingerabdrücke entfernt hätte.
    Dann würde ich mich wieder in mein Zimmer schleppen und Jane anrufen. Sie müßte kommen und
    meine Wunde verbinden. Ich stellte mir vor, wie sie eine Zigarette für mich halten würde, damit
    ich rauchen könnte, während mein Blut verströmte.
Die verdammten Filme. Sie können einen wirklich ruinieren.
Ganz im Ernst.
Ich blieb ungefähr eine Stunde im Badezimmer und nahm ein Bad.

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