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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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»Warum sagen Sie denn dann diesem blöden Maurice, daß Sie ein Mädchen wollen? Wenn Sie gerade
    erst eine verdammte Operation an Ihrem verdammten Ichweißnichtwas gehabt haben?«
»Ich dachte zuerst, es ginge mir schon besser. Ich war etwas unüberlegt. Im Ernst. Es tut mir
    leid. Wenn Sie einen Augenblick aufstehen wollen, hole ich meine Brieftasche.«
Sie war tödlich beleidigt, aber sie stand von meinen verdammten Knien auf, so daß ich meine
    Brieftasche von der Kommode holen konnte. Ich zog eine Fünf-Dollar-Note heraus und gab sie
    ihr.
»Danke sehr«, sagte ich. »Wirklich vielen Dank.«
»Das ist eine Fünfernote. Es kostet zehn.«
Sie wurde allmählich giftig, das konnte man ihr ansehen. Ich hatte befürchtet, daß so etwas
    passieren könnte.
»Maurice sagte fünf«, sagte ich. »Fünfzehn bis mittags, hat er gesagt, und fünf für
    einmal.«
»Zehn für einmal.«
»Er hat fünf gesagt. Es tut mir wirklich leid, aber mehr zahle ich nicht.«
Sie zuckte halb die Achseln und sagte dann eisig: »Wollen Sie mir vielleicht mein Kleid geben?
    Oder macht Ihnen das zuviel Mühe?« Sie war ein unheimliches Ding. Trotz ihrem kleinen dünnen
    Stimmchen konnte sie einem beinah Angst einjagen.
Wenn sie eine fette alte Nutte mit dick geschminktem Gesicht gewesen wäre, hätte sie nicht halb
    so unheimlich gewirkt. Ich holte ihr das Kleid. Sie zog es an und nahm dann ihre Jacke vom
    Bett. »Adieu, du komischer Vogel«, sagte sie.
»Adieu«, antwortete ich. Ich sagte nichts mehr von Dank oder so. Ich bin froh darüber. Als
    Sunny fort war, blieb ich eine Weile im Sessel sitzen und rauchte ein paar Zigaretten. Draußen
    wurde es hell. Mir war schön elend, großer Gott. Man kann sich nicht vorstellen, wie deprimiert
    ich war. Ich fing an, laut mit Allie zu sprechen. Das tue ich manchmal, wenn ich sehr
    deprimiert bin. Ich sage ihm dann immer, er solle nur heimgehen und sein Fahrrad holen und mich
    vor Bobby Fallons Haus treffen. Bobby Fallon wohnte damals in Maine nicht weit von uns, und
    einmal wollten er und ich an den Sedebego-See fahren und dort picknicken. Wir wollten auch
    unsere Vogelflinten mitnehmen wir waren noch ziemlich klein und dachten, wir könnten mit diesen
    Flinten etwas erlegen. Als Allie uns davon sprechen hörte, wäre er gern mitgefahren, aber ich
    wollte ihn nicht dabeihaben. Ich sagte, er sei noch zu klein.
Deshalb sage ich jetzt manchmal zu ihm, wenn ich sehr deprimiert bin: »Also schön, geh heim und
    hol dein Fahrrad und triff mich vor Bobbys Haus. Beeil dich.« Ich nahm ihn sonst überallhin
    mit, aber an diesem einen Tag damals wollte ich nicht. Er war nicht gekränkt darüber - er war
    nie über etwas gekränkt -, aber ich denke doch immer daran, wenn ich sehr deprimiert bin.
Schließlich zog ich mich aus und ging ins Bett. Ich hätte gern gebetet oder ich weiß nicht was,
    aber ich brachte es nicht fertig.
Ich kann nicht immer beten, wenn ich dazu Lust habe. Erstens einmal bin ich eine Art Atheist.
    Christus und so habe ich wohl gern, aber aus dem übrigen Zeug in der Bibel mache ich mir nicht
    viel. Zum Beispiel diese Jünger: die ärgern mich wahnsinnig, wenn ich ehrlich sein soll.
    Nachdem Christus tot war, benahmen sie sich zwar anständig, aber solange er noch lebte, nützten
    sie ihm ungefähr ebensoviel wie ein Loch im Kopf. Sie ließen ihn immer nur im Stich. Fast alle
    Leute in der Bibel sind mir lieber als die Jünger. Falls es jemand genau wissen will: der Kerl,
    der mir nach Jesus in der Bibel am besten gefällt, ist dieser Verrückte, der in den Gräbern
    wohnte und sich dauernd an Steinen schnitt; der gefällt mir zehnmal so gut wie die Jünger,
    dieser arme Hund. In Whooton diskutierte ich oft mit einem namens Arthur Childs, der am andern
    Gangende wohnte.
Childs war ein Quäker und las fortwährend in der Bibel. Er war sehr nett, ich hatte ihn gern,
    aber über vieles in der Bibel waren wir ganz verschiedener Ansicht. Hauptsächlich über die
    Jünger. Er sagte immer, wenn ich nicht für die Jünger sei, dann sei ich auch nicht für Christus
    und so. Da Christus die Jünger ausgesucht habe, müßten sie einem recht sein. Ich sagte,
    natürlich habe Christus sie ausgesucht, das wisse ich auch, aber er habe sie nur auf gut Glück
    ausgesucht. Er habe ja keine Zeit gehabt, jeden genau zu analysieren. Ich sagte, ich machte das
    Christus nicht zum Vorwurf. Es sei nicht seine Schuld gewesen, daß er so wenig Zeit gehabt
    habe. Ich erinnere mich, daß ich Childs einmal fragte,

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