Der Faenger im Roggen - V3
solle mich zur Grand Central
Station fahren.
Das war nah beim Biltmore, wo ich später Sally treffen wollte, und ich dachte, ich könnte dort
meine Koffer in eines dieser großen Gepäckfächer, zu denen man einen Schlüssel erhält,
einstellen und etwas frühstücken. Ich hatte wirklich Hunger. Im Taxi zog ich die Brieftasche
heraus und zählte mein Geld. Ich erinnere mich nicht mehr genau, wieviel ich noch hatte, aber
ein Vermögen war es nicht mehr. Ich hatte in zwei lausigen Wochen ein königliches Taschengeld
ausgegeben. Ich bin im Grund sehr verschwenderisch. Und was ich nicht ausgebe, verliere ich.
Meistens vergesse ich sogar, in Restaurants und Nachtlokalen und so weiter, das Wechselgeld an
mich zu nehmen. Meine Eltern macht das rasend. Begreiflich.
Mein Vater ist zwar ziemlich wohlhabend. Ich weiß nicht, wieviel er verdient - aber jedenfalls
reichlich, stelle ich mir vor.
Er ist Syndikus für GmbHs und so. Diese Burschen machen scheffelweise Geld. Außerdem muß er
schon deshalb wohlhabend sein, weil ich weiß, daß er oft in Broadway-Theatern Geld investiert.
Diese Unternehmungen verunglücken allerdings immer, und meine Mutter regt sich jedesmal
wahnsinnig darüber auf. Seit mein Bruder Allie gestorben ist, geht es ihr nicht besonders gut.
Sie ist sehr nervös. Auch aus diesem Grund war es mir doppelt unangenehm für sie, daß ich
wieder geflogen war.
Nachdem ich meine Koffer in eines dieser großen Gepäckfächer am Bahnhof eingestellt hatte, ging
ich in eine kleine Sandwich-Bar und frühstückte. Für meine Verhältnisse aß ich sehr viel
Orangensaft, Eier und Speck und Toast und Kaffee.
Ich trinke sonst meistens nur Orangensaft. Ich bin kein guter Esser. Tatsächlich. Deshalb bin
ich auch so verdammt mager.
Man hatte mir eigentlich eine besondere Diät mit viel Kohlehydraten und so 'n Mist zum Zunehmen
verordnet, aber ich hielt mich nie daran. Wenn ich auswärts esse, bestelle ich im allgemeinen
ein Käsesandwich und Malzmilch. Das ist zwar nicht viel, aber angeblich sollen im Malz viel
Vitamine sein.
H. V. Caulfield. Holden Vitamin Caulfield.
Während ich meine Eier verzehrte, kamen die zwei Nonnen mit Handkoffern herein und setzten sich
neben mich ans Büfett - wahrscheinlich übersiedelten sie in ein anderes Kloster und warteten
auf ihren Zug. Da sie nicht zu wissen schienen, was zum Teufel sie mit ihren Koffern machen
sollten, half ich ihnen damit. Die Koffer sahen sehr billig aus, nicht aus echtem Leder oder
so. Natürlich ist das nicht wichtig, aber ich kann billige Koffer nicht ausstehen. So
schrecklich das auch klingt, ich kann jemanden wirklich fast zu hassen anfangen, wenn ich
billige Koffer sehe. Einmal wohnte ich in Elkton Hills mit einem gewissen Dick Slagle im
gleichen Zimmer, der auch ganz billige Koffer hatte. Er pflegte sie nicht in das Koffergestell
zu stellen, sondern unter sein Bett, damit niemand sie neben meinen Koffern stehen sehen
sollte. Das deprimierte mich wahnsinnig; ich hätte meine am liebsten aus dem Fenster geworfen
oder mit ihm getauscht. Meine stammten von Mark Cross und waren aus Leder und so weiter,
wahrscheinlich hatten sie sehr viel gekostet. Aber die Geschichte nahm einen sehr komischen
Verlauf. Ich stellte schließlich meine Koffer ebenfalls unter das Bett, damit der gute Slagle
keinen Minderwertigkeitskomplex bekäme. Am nächsten Tag zog er sie heraus und beförderte sie
wieder auf das Koffergestell. Erst nach einiger Zeit begriff ich, daß er das tat, damit die
Leute dächten, meine Koffer gehörten ihm. Er war in dieser Hinsicht ein sonderbarer Mensch. Er
machte immer verächtliche Bemerkungen, zum Beispiel eben über meine Koffer. Er behauptete, sie
wären zu neu und bourgeois. Das war sein Lieblingsausdruck. Alles, was ich hatte, sollte
verflucht bourgeois sein. Sogar meine Füllfeder war bourgeois. Ich mußte sie ihm fortwährend
leihen, aber bourgeois war sie doch. Wir wohnten nur zwei Monate zusammen. Dann verlangten wir
beide ein anderes Zimmer. Und komischerweise fehlte er mir eigentlich, nachdem ich umgezogen
war, weil er wirklich viel Sinn für Humor hatte und wir oft sehr vergnügt miteinander waren. Es
würde mich nicht wundern, wenn auch er mich vermißt hätte. Am Anfang wollte er mich nur necken,
wenn er meine Sachen Bourgeois nannte, und ich machte mir absolut nichts daraus - ich fand es
sogar selber komisch. Aber nach einiger Zeit merkte man, daß es ihm ernst wurde. Es ist eben
überhaupt
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