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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Salinger
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an etwas ganz anderes - etwas Verrücktes. »Weißt du,
    was ich gern sein möchte?« fragte ich. »Weißt du, was ich sein möchte? Ich meine, wenn ich die
    Wahl hätte?«
»Was? Fluch nicht so.«
»Kennst du das Lied Wenn einer einen andern fängt, der durch den Roggen läuft ? Ich wäre
    gern -«
»Es heißt Wenn einer einen andern trifft, der durch den Roggen läuft !« sagte Phoebe.
    »Das ist ein Gedicht von Robert Burns.«
»Das weiß ich auch, daß es ein Gedicht von Robert Burns ist.«
Sie hatte aber ganz recht. Es heißt Wenn einer einen andern trifft, der durch den Roggen
    läuft .
Damals wußte ich das allerdings noch nicht.
»Ich dachte, es hieße Wenn einer einen andern fängt «, sagte ich. »Aber jedenfalls stelle
    ich mir immer kleine Kinder vor, die in einem Roggenfeld ein Spiel machen. Tausende von kleinen
    Kindern, und keiner wäre in der Nähe - kein Erwachsener, meine ich - außer mir. Und ich würde
    am Rand einer verrückten Klippe stehen. Ich müßte alle festhalten, die über die Klippe
    hinauslaufen wollen - ich meine, wenn sie nicht achtgeben, wohin sie rennen, müßte ich
    vorspringen und sie fangen. Das wäre einfach der Fänger im Roggen. Ich weiß schon, daß das
    verrückt ist, aber das ist das einzige, was ich wirklich gern wäre. Ich weiß natürlich, daß das
    verrückt ist.«
Phoebe sagte lange nichts. Schließlich sagte sie nur: »Dad bringt dich um.«
»Ich scher mich den Teufel drum, wenn er das tut«, sagte ich.
Dann stand ich vom Bett auf, weil ich Mr. Antolini anrufen wollte, der in Elkton mein
    Englischlehrer gewesen war. Er wohnte jetzt in New York und unterrichtete an der New York
    University. »Ich muß noch telefonieren«, sagte ich. »Ich komme gleich wieder zurück. Schlaf
    aber nicht unterdessen ein.« Ich wollte nicht, daß sie einschliefe, während ich im Wohnzimmer
    war. Ich wußte zwar, daß sie wach bleiben würde, aber ich wollte ganz sicher sein.
Als ich zur Treppe ging, sagte Phoebe: »Holden!«, und ich drehte mich um.
Sie saß hochaufgerichtet im Bett. Sie sah so hübsch aus. »Ich nehme jetzt Unterricht im Rülpsen
    bei einer, sie heißt Phyllis Margulies«, sagte sie. »Hör.«
Ich horchte, und tatsächlich hörte ich auch etwas, aber nicht viel. »Gut«, sagte ich. Dann ging
    ich ins Wohnzimmer und rief diesen Mr. Antolini an.

22. Kapitel
    Ich telefonierte nur ganz kurz, weil ich Angst hatte, daß meine Eltern mitten in das Gespräch
    hereinplatzen könnten. Sie kamen aber nicht. Mr. Antolini war sehr freundlich. Er sagte, ich
    könne jetzt sofort zu ihm kommen, falls ich Lust hätte. Offenbar hatte ich ihn und seine Frau
    geweckt, denn es dauerte höllisch lang, bis sie ans Telefon kamen. Als erstes fragte er, ob
    etwas schiefgegangen sei, und ich sagte, nein, gar nichts, ich sei allerdings von Pencey
    geflogen. Ich dachte, ich könnte ihm das ebensogut gleich erzählen. Er antwortete darauf: »Du
    lieber Himmel.« Er hatte viel Humor und so. Er sagte, ich solle nur gleich kommen, wenn ich
    wolle.
Er war wohl der beste von allen meinen Lehrern gewesen. Mr. Antolini war noch ziemlich jung,
    nicht viel älter als mein Bruder D.B., und man konnte mit ihm Unsinn machen, ohne den Respekt
    für ihn zu verlieren. Er war auch derjenige gewesen, der damals diesen James Castle endlich
    aufhob, nachdem er aus dem Fenster gesprungen war. Mr. Antolini fühlte ihm den Puls und so
    weiter, und dann zog er seine Jacke aus und legte sie über James Castle und trug ihn den ganzen
    Weg in die Krankenabteilung. Er kümmerte sich überhaupt nicht darum, daß seine Jacke ganz
    blutig wurde.
Als ich wieder in D.B.s Zimmer kam, hatte Phoebe das Radio angedreht. Tanzmusik. Sie hatte es
    ganz leise eingestellt, damit das Dienstmädchen nichts davon hörte. Man muß sie gesehen haben.
    Sie saß ohne Decken mitten im Bett und hatte die Beine wie ein Yogi untergeschlagen. Sie hörte
    der Musik zu. Sie kann mich umwerfen.
»Komm«, sagte ich, »willst du tanzen?« Ich hatte es ihr schon beigebracht, als sie noch ganz
    klein war. Sie tanzt sehr gut. Das meiste hat sie zwar von selbst gelernt, nicht von mir. Man
    kann niemandem beibringen, wie man wirklich gut tanzt.
»Du hast Schuhe an«, sagte sie.
»Ich zieh sie aus. Komm.«
Sie sprang mit einem großen Satz aus dem Bett und wartete, bis ich die Schuhe ausgezogen hatte,
    und dann fingen wir an. Sie tanzt wirklich verdammt gut. Ich sehe es im allgemeinen nicht gern,
    wenn Erwachsene mit Kindern tanzen, weil es meistens schrecklich

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