Der Faktor X
plötzlich wurde es Diskan bewußt – er wollte gar nicht weggehen, wollte sie nicht verlassen! Er war allein gewesen, seit ihn das sterbende Schiff ausgespuckt hatte – mit Ausnahme der Besuche dieser Pelzigen. Früher hatte er allein sein wollen, weg von all dem Mitleid und dem Gefühl des Ausgestoßenseins von der eigenen Rasse. Aber hier – hier brachte er es einfach nicht fertig, dem Feuer den Rücken zu kehren und diese Wesen zu verlassen, nur um in einer verlassenen Unterkunft seiner eigenen Rasse Schutz zu suchen.
Diskan eilte zu dem Feuer zurück. Sein Stiefel stieß gegen etwas, das im Schnee lag. Der Gegenstand flog in den Lichtkreis des Feuers und blieb dort schimmernd liegen. Er hob ihn auf.
Ein Stunner! Ungläubig starrte er auf die Waffe. Diese Zweitwaffe aller Raumfahrer, die zum vorübergehenden Betäuben, nicht zum Töten bestimmt war, hatte er gehofft, in der Unterkunft zu finden, aber keinesfalls hier draußen. Das war ein kostbarer Fund. Diskan hob die Waffe auf und sah prüfend auf die Ladungskontrolle. Er hatte es fast erwartet – der Stunner war einmal abgefeuert worden.
Er sah von der Waffe zu den Tieren hinüber. War auf sie geschossen worden? Sie waren ihm nicht feindselig oder gefährlich vorgekommen. Aber es konnte natürlich Gründe für ihre scheinbare Harmlosigkeit geben. Jedenfalls hatte er jetzt eine Waffe, die wirkungsvoller war als sein Keulenspeer.
Diskan hockte sich näher ans Feuer, untersuchte den Knauf der Waffe nach irgendeiner Markierung des Eigentümers, aber er wurde enttäuscht. Es war ein ganz gewöhnliches Modell. Eine Spur der Leute, denen die Unterkunft gehörte?
Er ging zurück an die Stelle, wo er das Ding gefunden hatte und schob mit den Stiefeln den Schnee beiseite. Nichts sonst außer dieser Waffe, die seit Tagen – seit Monaten? – hier gelegen hatte. Sorgfältig verstaute er sie in seinem Parka. Als er sie schwer und kalt an seinem Körper spürte, wuchs sein Selbstvertrauen.
Er wurde schläfrig und begab sich wieder ans Feuer. Der Verwundete und sein Pfleger hatten sich aneinandergeschmiegt. Die anderen waren verschwunden. Diskans Kopf sank nach unten. Er nahm den Stunner schußbereit in die Hand und legte sich hin.
8
Xcothal – Diskan wanderte durch Wasser, süßes, immer fließendes Wasser, manchmal bis an die Waden, manchmal, wenn er an Kreuzungen kam, auch bis zum Knie. Das Wasser roch frisch, scharf. Xcothal zur Festzeit. Aber er konnte nur verschwommen sehen, als bewege er sich in einem Traum – und er wollte sie doch deutlich sehen – all die Schönheit, das Licht und die Farben!
Um ihn herum planschten und tollten die Brüder im Pelz, die Freunde, die Begleiter, die sich ebenso wie er auf die Zeit der Feiern und der Spiele freuten. Manchmal vermischten sich ihre Gedanken mit den seinen, so daß er teilhaben konnte an dem Vergnügen auf den Wasserwegen, sah und fühlte, wie er mit seinem eigenen Körper nicht hätte sehen und fühlen können. Dies war Xcothal die Große, und er ging direkt auf ihr Herz zu, wo ihn das Wunder aller Wunder erwartete.
Aber die anderen – nicht die Brüder – die anderen? Da waren Schatten; ja, er erhaschte flüchtige Blicke auf sie, nie lange genug, um sie wirklich werden zu lassen. Und Xcothal war keine verlassene Stadt. Da war Leben zwischen ihren Mauern und in ihren Straßen, die Bäche waren und Ströme. Er wollte diesem Leben begegnen, wollte eins mit ihm sein, sehnte sich so sehr danach, daß diese Sehnsucht schmerzte! Und doch – wenn er sich umdrehte und aufpaßte, waren da immer nur die Schatten.
Gesichter, in die Mauern gemeißelt, Schriftzeichen. Er konnte sie fast lesen und wußte, als es ihm nicht gelang, daß die Schatten Gestalt annehmen würden, wenn er die Schrift lesen konnte. Immer so nah, immer vergebens!
Aber die Brüder im Pelz waren keine Schatten, und dieser Gedanke bestärkte Diskan in seinem Bemühen, und er versuchte es wieder und wieder.
Die anfängliche Freude, die seinen Geist erfüllt hatte, begann zu schwinden, während der Schmerz der Sehnsucht und der Einsamkeit sich verstärkte. Die Brüder im Pelz, sie wußten es. Sie hatten ihr Spiel unterbrochen, waren zu ihm gekommen, drückten sich hie und da an ihn, beruhigend, versichernd, und die Berührung ihrer feuchten Pelze war Zärtlichkeit. Aber er wußte, daß dies nicht das wahre Xcothal war.
Es dämmerte, und der Himmel wurde zu einer silbrigen Kuppel. Immer noch prasselte das Feuer im Kreise dunkler
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