Der Falke des Lichts
Dröhnen wie von einem Bienenstock. Ich blieb stehen und schaute Agravain fragend an. Bedwyr war mit Cei fortgegangen.
»Das sind die Verwundeten«, antwortete mein Bruder lässig. »Sie haben sich jetzt ein bißchen beruhigt. Lieber Gott, aber die Ärzte, die müssen vielleicht müde sein!«
»Was? Du meinst, die arbeiten noch immer, seit gestern abend?«
»Ach, das Schlimmste haben sie schon erledigt. Sie arbeiten in Schichten. Und jetzt, glaube ich, untersuchen sie diejenigen, die noch laufen können und kümmern sich um einige der Männer, bei denen sie gestern abend nicht ganz sicher waren. Weißt du, Männer, die mit einem angeschlagenen Arm ankommen und bei denen sie nicht entscheiden können, ob sie nun amputieren sollen oder nicht. Deshalb lassen sie sie erst einmal eine Weile in Ruhe. Es handelt sich auch um Männer, bei denen nicht sicher war, ob sie sterben würden. Die Ärzte haben sie deshalb liegenlassen und sich um die anderen gekümmert, bei denen ihre Kenntnisse nicht verschwendet sind.« Agravain zögerte. »Um die Wahrheit zu sagen, ich gehe nicht gern in die Krankenzelte, besonders nicht in diesem Stadium der Arbeit. Macht’s dir was aus, wenn ich.«
»Nein. Ich komme später nach.«
Aber ich tat es nicht. In den Zelten war nicht genug Platz für alle Verwundeten, und diejenigen, die schon behandelt waren, hatte man nach draußen gebracht. Sie lagen auf dem Gras wie Fische nach einem Sturm auf dem Strand. Ihre Gesichter waren kalkig grau, und die Augen waren entweder glasig vor Resignation oder leuchteten unnormal. Manche der Männer waren verbunden, andere nicht. Kein Jäger erschreckt sich über Blut, aber es ist etwas ganz anderes, wenn derjenige, der mit aufgerissenem Bauch und heraushängenden Eingeweiden vor dir liegt, ein Mann ist und kein Hirsch. Es ist schrecklich, wenn man in diesem Zustand, im kühlen Tageslicht der Vernunft, einen Menschen liegen sieht. Die Schwerverwundeten waren ganz still. Hin und wieder stöhnte oder murmelte einer - es war ein furchtbares Geräusch. Und dieses Stöhnen und Murmeln war das Dröhnen gewesen, das ich gehört hatte. Einige Männer lagen still, schlafend oder tot. Andere, die weniger schwer verletzt waren, saßen ein wenig entfernt von den anderen da und redeten leise. Der ganze Ort roch nach Schmutz, Schweiß, Erbrochenem und den ersten Anfängen des Wundbrandes. Es war ein Geruch des Schmerzes. Ich bahnte mir mühsam meinen Weg durch die Reihen der Männer, und ich war jetzt nicht mehr sicher, warum ich eigentlich gekommen war. Einige der Männer sahen mich, während ich vorüberging, und winkten mir müde zu. Einen erkannte ich als einen Krieger aus Ceis Gruppe, und ich ging hinüber zu ihm.
»Wasser«, murmelte er. »Hast du Wasser?«
»Ich. ich versuche, dir etwas zu besorgen.« Mehrere der Männer um ihn herum begannen auch um Wasser zu betteln. Ich nickte. Ich hatte plötzlich den Wunsch wegzurennen, und dann fiel mir ein, wie leichtfertig ich an diesem Morgen das für sie bestimmte Wasser verbraucht hatte. Mir wurde schlecht.
Ich ging ins Zelt, stellte mich eine Zeitlang hin und starrte um mich. Einer der Ärzte, der gerade eine Amputation beendete, bemerkte mich. »Na, was willst du denn?« wollte er grob wissen.
»Ich. ich hab’ nur einen Kratzer. Ich kümmere mich schon selbst darum.«
»Danke. Na, und jetzt, wo du dich entschlossen hast, worauf wartest du noch?«
»Draußen liegen ein paar Männer, die Wasser brauchen.«
»Draußen sind eine Menge Männer, die Wasser brauchen, aber hier drinnen sind noch mehr, die behandelt werden müssen. Ich habe nicht genug Hilfe. Und die Diener brauchen ihren Schlaf. Die Männer da draußen kriegen Wasser, sobald wir etwas mehr aus dem Fluß bekommen können.«
»Soll ich helfen?«
Der Arzt starrte mich an, musterte die reiche Kleidung und das goldbesetzte Schwert. Dann lächelte er langsam. »Eigentlich ja, Krieger - wenn du eine Ahnung hast, wie man mit einem Messer heilt, anstatt zu schaden.«
»Ich hab’ es noch nie versucht, aber ich kann es lernen.«
Und ich lernte, bis fast Mitternacht. Nur wenige Krieger wissen von der Schlacht, die in den Krankenzelten geschlagen wird, wenn die Kämpfe vorüber sind. Sie erfahren nur davon, wenn sie selbst es erleben. Es ist eine harte Schlacht, so wild und rücksichtslos wie alles, was einem auf dem Schlachtfeld begegnen kann, und die Schlacht verlangt genausoviel oder noch mehr Kenntnisse als der Kampf auf dem Schlachtfeld. Morgas hatte
Weitere Kostenlose Bücher