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Der Falke des Nordens

Der Falke des Nordens

Titel: Der Falke des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Marton
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Befehle zu erteilen.
    Khalil musste lachen, obwohl ihm gar nicht danach zumute war. Er schaute zum Fenster hinaus und beobachtete Joanna, wie sie im Sonnenschein mit dem Mann über den Hof schritt. Ein zweiter Aufpasser gesellte sich zu ihnen. Beide waren groß und kräftig, neben ihnen wirkte Joanna schmal und zierlich. Trotzdem erweckte sie den Eindruck, ihnen in jeder Hinsicht gewachsen zu sein, wenn auch nicht körperlich, so doch in ihrer Entschlossenheit.
    Und auch was den Mut anging. Seufzend drehte Khalil sich um und setzte sich hinter den Schreibtisch. Sie war nicht so, wie er sie zunächst eingeschätzt hatte, diese Joanna Bennett. Khalil griff nachdenklich nach dem Füllhalter. Es wäre wirklich gut, wenn dieser törichte Vater endlich zu Verstand kommen und das tun würde, was getan werden musste. Dann würde es für die Arbeiter keine Probleme geben, Abu müsste auf einen Teil seiner Ansprüche verzichten, und Joanna würde zurückkehren in die Welt des schönen Scheins, in die sie gehörte. Und er, Khalil, würde sie sogleich vergessen …
    Ja, ganz bestimmt, nahm er sich vor.
    Der Füllhalter entglitt seiner Hand. Und es vergingen einige Minuten, bis Khalil ihn aufnahm und sich wieder seiner Arbeit widmete.
    Am nächsten Morgen stand Joanna früh auf und ging auf den Flur hinaus. “Ich gehe jetzt reiten”, erklärte sie dem ziemlich irritiert dreinblickenden Wächter. Sie wusste genau, dass er sie nicht verstand und dass ihr Vorgehen eigentlich nicht korrekt war. Aber es gehörte alles zu dem Plan, den sie ausgeheckt hatte.
    Und da Khalil abwesend war, konnte sie ihr Vorhaben leicht in die Tat umsetzen. Es durften trotzdem keine unvorhergesehenen Schwierigkeiten auftreten, wenn ihr die Flucht gelingen sollte. Deshalb hatte sie beschlossen, erst einmal zu üben.
    Niemand folgte ihr, wie sie insgeheim zufrieden feststellte. Offenbar hatte man den Mann über ihr neues Privileg unterrichtet, sodass er nun nicht genau wusste, wie er zu reagieren hatte.
    Als sie einen Blick über die Schulter warf, sah sie, dass er sich schließlich doch noch in Bewegung setzte, aber das war völlig unwichtig. Hauptsache, sie war ungehindert an ihm vorbeigekommen.
    Am zweiten Morgen erschien sie zur selben Zeit. Die Männer, die sie am Vortag begleitet hatten, warteten bereits auf sie.
    “Guten Morgen”, begrüßte Joanna sie freundlich. “Ich hatte gehofft, Rachelle würde mit dem Frühstück kommen.” Betont theatralisch ließ sie den Blick in alle Richtungen über den Flur schweifen. “Noch nicht? Ach, dann eben nicht.” Sie verschwand wieder im Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
    Um zwei Uhr nachmittags wiederholte sie ihre Vorstellung vom Vortag. Sie beachtete den überraschten Wächter nicht, der einige Sekunden brauchte, um sich von seiner Verblüffung zu erholen, und sich dann in die andere Richtung verzog. Wahrscheinlich, so überlegte sie, um den beiden Männern Bescheid zu sagen, die mit mir reiten sollen.
    Im Stall angekommen, lächelte sie den jungen Burschen freundlich an und wies auf die Stute. Als die beiden Begleiter endlich völlig außer Atem auftauchten, war Sidana schon gesattelt und bereit, loszureiten.
    Am dritten Tag ließ sie alles am späten Vormittag ablaufen. Und dieses Mal wunderte sich niemand mehr. Offenbar hatte man sich auf ihre unberechenbaren Allüren eingestellt, genau so, wie sie es beabsichtigt hatte.
    Sie vermied es sorgfältig, irgendeinen Verdacht zu erregen. Im Stall wartete sie stets höflich auf die beiden Männer. Und auch während des Ausritts legte sie es darauf an, als ganz besonders ungeschickte Reiterin aufzufallen.
    Nach dem Mittagessen des dritten Tages steckte sie die frischen Weintrauben und Nüsse, die man ihr mit anderen Köstlichkeiten vorgesetzt hatte, zusammen mit dem Brot in die tiefen Taschen des Kapuzenmantels, den Khalil ihr für den Ausflug nach Adaba überlassen hatte.
    Es war zwar nicht viel Proviant, aber er musste ausreichen. Joanna hatte nicht die geringste Ahnung, wie lange sie bis in den Süden des Landes unterwegs sein würde. Trotzdem war sie fest entschlossen, am nächsten Tag die Flucht zu wagen.
    Am folgenden Morgen zog Joanna sich noch vorm Frühstück an und hüllte sich in den Umhang. Dann riss sie die Tür auf und sah sich einem Wächter gegenüber, der bisher noch nicht in Erscheinung getreten war.
    “Guten Morgen”, begrüßte sie ihn höflich und wollte an ihm vorbeieilen. Er versperrte ihr jedoch den Weg, wobei er kein

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