Der Falke des Nordens
angewiesen, Rachelle zu rufen, wenn du etwas brauchst.”
“Nur du kannst mir helfen.”
“Ich habe zu viel zu tun. Wende dich an Rachelle”, sagte er und zog sich ins Zimmer zurück. “Sie wird mich über deine Wünsche informieren.”
“Warte!” Joanna stürzte auf die Tür zu und drückte sie wieder auf. Fast schon zu spät erinnerte sie sich daran, dass sie die zurückhaltende, unglückliche Frau spielen wollte. “Bitte”, fügte sie leise und ganz sanft hinzu und blickte ihn verzweifelt an.
Ihre Rechnung schien aufzugehen. Seine Miene entspannte sich etwas. Sekundenlang sah er Joanna an. “Gut, fünf Minuten, Joanna”, gab er nach.
Sie nickte, während er sie mit einer Handbewegung zum Eintreten aufforderte. Neugierig schaute sie sich um.
“Mein Büro.”
Erstaunt drehte sie sich um. Khalil stand noch an der Tür und beobachtete sie aufmerksam.
“Ich bin mir nicht bewusst, dass ich etwas gefragt habe.”
“Das hast du auch nicht.” Stirnrunzelnd durchquerte er rasch den Raum und blieb neben dem hübschen alten Schreibtisch vor dem Fenster stehen. “Es war doch klar, dass du dir Gedanken machst, wozu ein unzivilisierter Mensch so ein Zimmer braucht. Ich wollte dir die Mühe ersparen, es laut auszusprechen.”
“Ich bin nicht gekommen, um mit dir zu streiten, Khalil.”
“Warum dann?” Er schob die Unterlagen beiseite und lehnte sich an das schöne Möbelstück. Dabei blickte er Joanna unverwandt an. “Von deinem Vater habe ich noch nichts gehört, falls du das wissen möchtest.”
“Das wollte ich nicht.” Sie fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.
“Dann klär mich bitte auf, denn ich habe wenig Zeit.” Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. “Ich höre. Was gibt es Wichtiges?”
“Ich habe über etwas nachgedacht, was wir auf dem Ausflug nach Adaba besprochen haben.”
“An jenem Tag ist nichts geschehen, das eine Diskussion wert wäre”, erwiderte er kurz angebunden. “Wenn das alles ist …”
“Ich habe dir gesagt, wie langweilig es ist, herumzusitzen und nichts zu tun”, fuhr sie eilig fort und rang sich ein höfliches Lächeln ab. “Das verstehst du doch, oder?”
“Du kannst dich im Palast und im Garten frei bewegen und außerdem meine Bibliothek benutzen.”
“Oh, ja. Du bist sehr großzügig.”
Er kniff die Augen zusammen, sodass Joanna im Stillen aufstöhnte.
“Was willst du sonst noch von mir?” Sein Blick wurde hart. “Wenn du deine Zeit mit Lilia verbringen möchtest, dann muss ich dir leider sagen, dass ich meine Meinung darüber geändert habe. Ich glaube nämlich nicht, dass du einen guten Einfluss auf sie ausüben würdest.”
Joanna hob das Kinn. “Nein”, entgegnete sie ruhig, “natürlich nicht. In deiner Gesellschaft ist sie viel besser aufgehoben.”
Er warf ihr einen fragenden Blick zu, dem sie betont unschuldig lächelnd begegnete. Nach einer Weile nickte er steif und wies auf die Regale an den Wänden. “Hier sind ebenfalls jede Menge Bücher, obwohl ich bezweifle, dass sie dir gefallen werden.”
“Danke. Ich habe genug zu lesen. Was ich brauche, ist Bewegung.”
“Du gehst doch jeden Nachmittag mit Rachelle spazieren.”
“Ja, richtig. Das genügt mir jedoch nicht.”
“Leider kann ich dir hier weder Partys noch Discos bieten.”
“Ich rede von etwas anderem. Ich bin es wirklich nicht gewöhnt, so untätig herumzusitzen, Khalil. Wenn ich in New York bin, gehe ich regelmäßig zur Gymnastik.” Sie hoffte inständig, er würde nicht merken, wie verärgert sie war. Deshalb zauberte sie vorsichtshalber wieder ein Lächeln auf die Lippen. “Und auf unserer Ranch in Dallas reite ich täglich.”
“Ach, tatsächlich?”, fragte er, wobei er nur die Augenbrauen leicht hob, doch seine Miene blieb ausdruckslos. Dann schüttelte er ungläubig den Kopf. “Eigenartig. Ich erinnere mich nämlich gut daran, dass du nicht wusstest, von welcher Seite man bei einem Pferd auf- und wieder absitzt.”
“Ich war aufgeregt und völlig verwirrt.”
“Gib es auf, Joanna.” Er schaute sie durchdringend an. “Ich nehme dir nicht ab, dass du dich plötzlich in ein sanftmütiges Lamm verwandelt hast. Wir beide kennen dein aufbrausendes Temperament. Nun sag endlich, was du wirklich willst. Und beeil dich bitte.”
Joanna nickte. “Gut. Ich habe es ernst gemeint. Ich langweile mich zu Tode und möchte ausreiten. Du brauchst mich gar nicht so ungläubig anzusehen, Khalil. In der Nacht, als du mich hergebracht hast,
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