Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Falke des Nordens

Der Falke des Nordens

Titel: Der Falke des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Marton
Vom Netzwerk:
einziges Wort zu sagen brauchte, denn seine drohende Körperhaltung war eindeutig genug.
    “Gehen Sie mir bitte aus dem Weg”, forderte Joanna ihn forsch auf, bekam allerdings Herzklopfen vor Aufregung. Doch der Mann dachte gar nicht daran, ihrem Befehl nachzukommen. “Ich gehe reiten”, versuchte sie ihm zu erklären. Und als er immer noch keine Reaktion zeigte, wiederholte sie ihre Worte laut und eindringlich.
    Es nützte alles nichts. Schließlich nahm sie ihre Fäuste zu Hilfe und schlug auf ihn ein. “Lassen Sie mich durch, Mann! Der Prinz hat mir erlaubt auszureiten. Verdammt, hören Sie schlecht?”
    “Was ist los, Joanna?”
    Sie wirbelte herum und erblickte Lilia, die der Auseinandersetzung mit einem Stirnrunzeln auf dem hübschen Gesicht lauschte. “Lilia.” Joanna bückte sich und umarmte das Mädchen liebevoll. “Ich freue mich, dich zu sehen! Ich habe dich schon vermisst.”
    Lilia lächelte scheu. “Ich freue mich auch. Hast du Probleme mit Ali?”
    Joanna nickte; bei dem herrischen Unterton in der Stimme des Mädchens musste sie sich das Lachen verkneifen. “Ja. Dein Onkel hat mir einen täglichen Ausritt gestattet. Ali scheint jedoch davon nichts zu wissen.”
    “Oh, du bist genau wie ich, Joanna”, rief Lilia glücklich aus. “Ich bin auch gern frühmorgens, wenn die Erde noch so wunderschön frisch duftet, auf dem Pferd unterwegs!” Entschlossen machte sie einige Schritte auf den Mann zu und strahlte dabei sogar eine gewisse Autorität aus. “Ich kümmere mich um Ali!”
    Joanna wagte nicht zu atmen, während Lilia auf ihn einredete. Er schien unschlüssig, doch dann legte er kurz die Hand an die Stirn und bequemte sich, Platz zu machen. Joanna bedankte sich höflich. Vor Erleichterung wurde ihr ganz schwach in den Knien.
    “Darf ich mitkommen?”
    Joanna überlegte eine kleine Weile. Plötzlich verspürte sie ein schreckliches Schuldgefühl. “Oh, Lilia”, erwiderte sie sanft, “ich glaube nicht …”
    “Bitte!”
    Joanna ließ den Blick zum Wächter schweifen, der immer noch verunsichert wirkte und nicht wusste, wie er sich verhalten sollte. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass er die anderen noch informieren würde. Mit etwas Glück konnte sie sich einen Vorsprung verschaffen.
    Verzeih mir, Lilia, tat sie insgeheim Abbitte. Laut sagte sie nur: “Ja, gut.” Das Kind an der Hand, durchquerte sie den Flur. Lilia plauderte fröhlich drauflos, während Ali ratlos zurückblieb.
    Bei den Ställen angekommen, zögerte Lilia. “Beinahe hätte ich vergessen, dass ich nicht allein ausreiten darf. Ali soll schnell …”
    “Nein”, unterbrach Joanna sie rasch. Dann biss sie sich auf die Lippe, bückte sich und umfasste das Gesicht des Mädchens. “Nein”, wiederholte sie ruhiger. “Jetzt noch nicht. Lass uns erst die Pferde satteln, oder?”
    Lilia zuckte die Schultern. “Wie du willst, Joanna.”
    Das kleine Mädchen befahl dem noch ganz verschlafen aussehenden Stallburschen etwas, worauf dieser die weiße Stute und ein rötlichgraues Pony aus den Boxen führte, dem er den Sattel auflegte. Als er der Stute die Zügel angelegt hatte, rief ihm der Wächter, der wohl immer skeptischer wurde, in scharfem Ton einige Worte zu und verschwand wieder.
    Joanna war klar, sie durfte keine Zeit mehr verlieren. Sie küsste das verblüffte Kind auf die Wange. “Verzeih mir, Lilia”, flüsterte sie.
    Dann schwang Joanna sich auf Sidana, schob den Burschen zur Seite, ergriff die Zügel und gab dem Pferd die Sporen. Noch ehe jemand ihr Vorhaben durchschaute, schoss das Tier wie der Blitz zum Tor hinaus. Joanna duckte sich über den Nacken des Pferds und ritt der Freiheit entgegen.

11. KAPITEL
    Nach Einbruch der Dunkelheit musste Joanna sich eingestehen, wie schwierig ihre Lage war. Sie hatte Hunger und Durst, und der ganze Körper schmerzte ihr vom Reiten ohne Sattel – aber was noch viel schlimmer war, sie hatte sich hoffnungslos verirrt.
    Zunächst hatte sie ihre Aufmerksamkeit nur darauf gerichtet, einen möglichst großen Vorsprung zu erzielen, und dabei nicht auf die Richtung geachtet. Sie hatte auf den Überraschungseffekt gebaut und dadurch mindestens fünf oder sechs Minuten gewonnen. Doch irgendwann hörte sie trotzdem die stampfenden Hufe hinter sich und warf einen Blick zurück. In einer riesigen Staubwolke kamen Reiter immer näher. Früher oder später würden diese sie eingeholt haben.
    Wie gehetzt suchte sie die Umgebung nach einem Unterschlupf ab und erspähte tatsächlich

Weitere Kostenlose Bücher