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Der Falke des Nordens

Der Falke des Nordens

Titel: Der Falke des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Marton
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einem Mal stöhnte sie auf, denn er packte sie heftig an den Schultern. “Treib es ruhig auf die Spitze, Joanna. Du zwingst mich nur, dir zu beweisen, wie unzivilisiert ich sein kann”, warnte er sie.
    Eine scharfe Antwort lag ihr auf der Zunge. Doch als sie die Kälte in seinem Blick bemerkte, schwieg sie lieber. Der Falke des Nordens, dachte sie und erbebte insgeheim.
    “Ich könnte jetzt alles mit dir machen, und niemand würde mich deswegen jemals zur Verantwortung ziehen. Also halt dich besser an meine Befehle. Wenn dir das gelingt, kommst du vielleicht heil zum Palast zurück.”
    Joanna blickte ihn herausfordernd an, drehte sich schließlich um und stieg aufs Pferd. Als er sich hinter ihr in den Sattel schwang und Najib heftig die Sporen gab, überlegte Joanna, ob ihre Welt jemals wieder heil sein würde.

10. KAPITEL
    Joanna schritt die Wände ihres Zimmers ab. Zwanzig Schritte an der einen entlang, fünfzehn an der anderen und dasselbe noch einmal. Nach einer Woche kannte sie die Abmessungen des Raums so genau wie die des weitläufigen Gartens und des Palastes und wie die von Khalils Bibliothek. Nie wieder würde sie ein in einem Käfig gefangenes Tier ansehen können, ohne sogleich Mitleid und Erbarmen zu empfinden.
    Nicht, dass sie schlecht behandelt wurde, ganz im Gegenteil. Seit jenem Vorfall hatten sich die Bedingungen für sie sogar gebessert.
    “In meiner Begleitung können Sie gehen, wohin Sie wollen, Joanna”, teilte Rachelle ihr am nächsten Morgen die gute Neuigkeit mit. “Und Sie dürfen auch die Bücherei benutzen, wenn Sie möchten.”
    Joanna presste die Lippen zusammen. Glaubte Khalil, sie davon überzeugen zu können, dass er nicht so unzivilisiert war, wie sie behauptet hatte, wenn er ihr gestattete, seine Bücher zu lesen und frei herumzuspazieren?
    Nun, dann irrte er sich gewaltig! Sie durchquerte wieder einmal das Zimmer und ließ die Gedanken schweifen, erinnerte sich daran, dass sie in der ersten Nacht von ihrem Vater geträumt hatte, der so mit seinem Spiel beschäftigt gewesen war, dass er den Reiter, der seine Tochter entführte, gar nicht wahrgenommen hatte.
    “Du warst entsetzlich dumm”, sagte sie sich leise und warf entschlossen den Kopf zurück.
    Ihrem Vater war natürlich bekannt, was hier mit ihr geschah, aber es kümmerte ihn nicht!
    Nein, so war es auch nicht. Wahrscheinlich war er besorgt, jedoch nicht beunruhigt. Er vertraute darauf, Khalil würde ihr kein Haar krümmen, weil sie ihm als Mittel zum Zweck diente.
    Joanna blickte in den Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Sie sah gut aus. Nach den vielen Stunden im Garten in der Sonne hatten ihre Wangen eine rosige Farbe angenommen. Ihr Haar glänzte, und ihre Augen glänzten – natürlich vor Zorn, wie sie sich einredete.
    Nach tagelangem sorgfältigem Nachdenken hatte sie einen Plan entwickelt. Sie atmete tief ein und aus. Es gab keinen Grund, noch länger mit der Verwirklichung zu warten. Sie wollte endlich handeln.
    “Jetzt oder nie”, sagte sie laut, drehte sich um und ging zur Tür, die sie schwungvoll öffnete.
    “Ich will den Prinzen sprechen”, verkündete sie dem Mann, der auf dem Flur Wache stand.
    Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. “Rachelle, oder?”
    “Nein, den Prinzen.”
    “Ja, Rachelle.”
    “Ach, du liebe Zeit”, fuhr Joanna, der das freundliche Lächeln vergangen war, ihn ungeduldig an. “Spricht denn hier niemand Englisch?”
    Kurz entschlossen drängte sie ihn mit dem Ellbogen zur Seite und eilte den Flur entlang. Ziemlich ungehalten rief der Mann etwas hinter ihr her, dann setzte er sich mit schweren Schritten in Bewegung. Und als er Joanna erreichte, hielt er sie grob fest.
    “Lassen Sie mich sofort los, oder ich …”, forderte sie ihn ärgerlich auf.
    “Was soll denn das?”
    Joanna und der Wächter wirbelten gleichzeitig herum. Khalil stand auf der Türschwelle zu einem der Zimmer, mit grimmiger Miene und die Hände in die Hüften gestemmt.
    Der Mann erging sich in einem Redeschwall, den Joanna ungerührt unterbrach. “Sag deinem Dobermann, er soll die Hände von mir nehmen.”
    Verwundert zog Khalil die Augenbrauen hoch und sprach kurz mit dem Mann, der sich daraufhin entfernte.
    “Was führt dich zu mir, Joanna?”
    “Ich muss unbedingt mit dir reden”, erwiderte sie förmlich. “Das habe ich diesem Kerl klarmachen wollen, aber er hat mich nicht verstanden.”
    “Es ist nicht Mustafas Schuld, dass er deine Sprache nicht beherrscht. Ich habe ihn

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