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Der Falke des Nordens

Der Falke des Nordens

Titel: Der Falke des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Marton
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Dicke war Abu höchstpersönlich. Ihr Vater hatte ihn ihr einmal beschrieben. Allerdings kannte Sam ihn nur in teuren italienischen Maßanzügen gekleidet und mit viel zu viel Goldschmuck behangen. Wahrscheinlich wäre er ziemlich überrascht, Abu in dieser schmierigen Dschellaba und mit den Patronengurten um Brust und Bauch vorzufinden.
    Als Abu das Wort ergriff, vernahm sie immer wieder “Joanna Bennett”.
Wollte er sie etwa befreien? Die Aufmachung deutete allerdings eher auf einen Überfall als auf eine Rettungsaktion hin. Man sollte sich nicht von Äußerlichkeiten täuschen lassen, fuhr es ihr durch den Kopf.
    Sie war völlig verunsichert und wusste nicht, ob sie sich zeigen oder weiterhin versteckt halten sollte. Irgendwie gefiel ihr nicht, wie abfällig und gemein die Männer lachten, wenn Abu ihren, Joannas, Namen nannte.
    Aber als alle wieder aufsaßen, wischte sie ihre Bedenken beiseite und beschloss, sich zu erkennen zu geben. Vorsichtig schritt sie vorwärts …
    Plötzlich legte ihr jemand von hinten die Hand auf den Mund und umschlang sie mit dem anderen Arm so fest, dass sie sich kaum noch rühren konnte. Sie versuchte, sich zu wehren, und zappelte wie wild, doch sie hatte keine Chance.
    “Joanna! Hör damit auf! Ich bin’s”, hörte sie es an ihrem Ohr flüstern. Zu ihrer unendlichen Erleichterung erkannte sie Khalils Stimme und beruhigte sich sogleich wieder, während er sie langsam zu Boden drückte. “Keinen Laut, verstehst du?”, fragte er leise.
    Sie nickte, und erst dann nahm er die Hand von ihren Lippen. Genau in diesem Augenblick zogen die Reiter weiter und verschwanden in der Dunkelheit.
    Joanna drehte sich um und blickte Khalil an. In dem fahlen Mondlicht bemerkte sie den harten Zug um seinen Mund und die scharfen Linien um seine Augen, ein Zeichen von Schlafmangel und Müdigkeit, und wie unrasiert er war. Trotzdem wurde ihr wieder schmerzlich bewusst, dass sie noch nie einem so gut aussehenden Mann begegnet war. Ich bin zwar seinem goldenen Gefängnis entkommen, doch werde ich es schaffen, jemals die Erinnerungen an ihn aus meinem Gedächtnis auszulöschen?, fragte sie sich beunruhigt.
    Wie betäubt flüsterte sie seinen Namen, er schüttelte jedoch den Kopf, und der starre Ausdruck auf seinem Gesicht begann sich langsam zu lösen. “Später haben wir genug Zeit zum Reden”, meinte er.
    Najib stand hinter ihm, mit aufmerksam aufgerichteten Ohren. Khalil führte das Pferd an den Zügeln in die der Quelle entgegengesetzte Richtung, während Joanna ihm mit der Stute folgte.
    Nach einem Fußmarsch von ungefähr zehn Minuten gelangten sie in ein Labyrinth von riesigen Felsbrocken, an dessen anderem Ende der Eingang zu einer Höhle lag.
    Nachdem Khalil die Pferde in einem verborgenen Durchgang angebunden hatte, geleitete er Joanna durch den Irrgarten in den Unterschlupf.
    “Hier habe ich oft als kleiner Junge gespielt”, erklärte er, und das Echo seiner Stimme hallte von den Wänden zurück. “Sie ist tief genug, wir sind hier absolut sicher. Es gibt sogar einen Notausgang, falls wir so etwas brauchen.”
    Innerhalb von wenigen Minuten trug er einen kleinen Stapel Holz und Strauchwerk weit hinten in der Höhle zusammen und zündete es an. Als er sich schließlich umdrehte und Joanna anschaute, blieb ihr fast das Herz stehen. Sie waren auch vorher schon allein gewesen, doch dieses Mal war alles anders. Es berührte sie eigenartig, ihm nun wieder so nah zu sein.
    “Wohin wolltest du, Joanna?”, fuhr er sie scharf an. “Du hattest mir dein Wort gegeben! Aber ich hätte wissen müssen, dass du dich nicht daran gebunden fühlst.”
    Joanna warf ärgerlich den Kopf zurück. “Ich habe dir nie versprochen, freiwillig bei dir als deine Gefangene zu bleiben.”
    “Du kleine Närrin! Ich rege mich nicht über deine Flucht auf, sondern über die Gefahr, in die du dich begeben hast! Es ist ausgesprochen gefährlich, allein hier im Gebirge herumzureiten, ganz besonders jedoch für eine Frau.”
    “Du hast mich nicht konkret davor gewarnt.”
    “Ich dachte, es sei wohl nicht nötig. Jeder halbwegs intelligente Mensch …”
    “Hör endlich auf. Ich habe genug von deinen Beleidigungen!”
    “Dann fordere mich auch nicht dazu heraus. Wenn du deinen Verstand gebraucht hättest, wärst du von selbst darauf gekommen, dass meine Anweisungen lediglich deiner eigenen Sicherheit dienten.”
    “O ja”, entgegnete Joanna mit schwankender Stimme und spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen,

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