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Der Falke des Pharao

Der Falke des Pharao

Titel: Der Falke des Pharao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynda S. Robinson
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einen losen Stein, der dem Abgrund zu nahe ist.« Der Mann schlug die Handflächen aufeinander. »Schlägt auf dem Boden auf und bricht auf wie eine Melone.«
    »Ah ja. Ich habe auf dem Markt am Hafen schon gehört, daß ein Arbeiter im Steinbruch getötet worden ist. War jemand bei ihm?«
    »Nein, Herr, sonst hätte man dem Narr ja sagen können, er solle sich nicht so nah an den Abgrund heranwagen.«
    Kysen hörte die unterschwellige Verachtung in der Stimme des Mannes. Es war offensichtlich, daß man Kysen für einen der verweichlichten und verwöhnten Stadtbeamten hielt, die keine Ahnung hatten, was richtige Arbeit war. Zweifellos würde das ganze Dorf ähnlich über ihn denken. Viele der Mitarbeiter des riesigen Beamtenstabes im Palast und in den Tempeln waren korrupt. Häufig gab es Skandale um Würdenträger, die Bestechungsgelder annahmen und ehrliche Bürger betrogen. Ein paar von ihnen waren schließlich auf Merens Liste von Mordopfern, die in seinem Arbeitszimmer lag, gelandet.
    Kysen verzichtete auf einen Kommentar und begleitete die Karawane in das Dorf hinab. Er wurde langsamer und ging am Schluß des Zuges, als sie sich den Dorftempeln näherten, kleinen Repliken der großen Steinmonumente am Ostufer. Er warf einen Blick auf die Hügelabhänge zu seiner Rechten und zu seiner Linken. Sie waren voller Grabschächte. Hier befanden sich die Stätten der ewigen Ruhe für die Ahnen der Handwerker, seine Ahnen. Im Südwesten konnte er die geweißelte Kapelle erkennen, die vor dem Grab seiner Familie stand.
    Gelächter riß ihn aus seinen Gedanken. Eine Gruppe löste sich aus den Schatten der Hauptstraße. Diese Straße war so eng, daß man die Häuser auf beiden Straßenseiten gleichzeitig berühren konnte. Aus der Gruppe trat ihm ein Mann entgegen. Er durchschritt das Tor und redete die ganze Zeit wie ein Wasserfall. Die beiden Frauen hinter ihm brachen in immer neues Gelächter aus, während sich auf dem Gesicht des Mannes ein zartes Lächeln zeigte.
    Kysen sah, daß das Werkzeug eines Schreibers sich in seiner rechten Hand befand, in der linken Hand trug er eine Papyrusrolle. Es war Thesh, der Schreiber des Erhabenen Ortes. Schreiber – das war der edelste aller Berufe. Der Beruf, der einem jeden Jungen, ob Bauer oder Edelmann, offenstand, der klug genug war, um über siebenhundert Hieroglyphen zu behalten, ebenso wie die dazugehörige Kursivschrift und die Art und Weise, wie sie benutzt wurde.
    Kysen konnte selbst lesen und schreiben. Er war jedoch weise genug, um zu wissen, daß diese Fähigkeit allein ihn noch nicht zum Schreiber machte. Denn Schreiber führten Buch, befehligten Arbeiter, überwachten ein ganzes Königreich und sorgten für die Erhaltung der heiligen Schriften der Götter. Als Schreiber war Thesh der Hüter des Gesetzes, war zuständig für Fragen der Religion, der Wirtschaft und der Arbeit.
    Thesh und sein Gefolge erreichten den langen, offenen Pavillon vor dem Dorfeingang. Der Schreiber rief den Trägern einen Gruß zu, bevor er sich selbst auf einer Riedmatte niederließ. Die Frauen setzten sich hinter ihn, während das Korn ausgeladen und Thesh zu Füßen gelegt wurde. Kysen blieb hinter einem Esel stehen und beobachtete die Szene. Als Schreiber hatte Thesh den gleichen Rang wie die beiden Aufseher oder die Künstler und Handwerker, und er war wahrscheinlich der einflußreichste Mann im Dorf. Er hatte sicher mit Hormin zu tun gehabt.
    Thesh nahm sein Schreibwerkzeug hervor und lehrte einen Jungen das Anmischen von Schreibpaste, als der letzte Sack mit Korn ausgeladen worden war. Jetzt, da die Lieferanten nicht mehr umhergingen, bemerkten einige der Frauen Kysen und warfen ihm neugierige Blicke zu. Kysen verhielt sich zurückhaltend. Thesh sah von der Papyrusrolle auf, die er gelesen hatte, und sein Blick heftete sich auf Kysen.
    Dieser erwartete, daß der Schreiber ihm durch ein gebieterisches Nicken bedeuten würde, sich ihm zu nähern. Statt dessen rollte Thesh den Papyrus zusammen. Er legte die Rolle beiseite und hielt Kysens Blick stand, dann runzelte er die Stirn, erhob sich und ging dem Neuankömmling entgegen. Kysen war besorgt. Thesh konnte ihn einfach nicht erkannt haben. Thesh war neu im Dorf. Er hatte erst Jahre, nachdem Kysen verkauft worden war, sein Amt aufgenommen.
    »Mögen die Götter Euch schützen«, sagte Thesh.
    Kysen nickte überrascht. Thesh hatte ihm einen Gruß entboten, der sonst nur Höherstehenden entgegengebracht wurde. Was mochte ihn verraten

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