Der Falke des Pharao
Tributzahlungen. Es wurde langsam spät. Als meine Ablösung kam, ging ich hierher, um Euch Bericht zu erstatten.«
Iry-nufer verbeugte sich und verließ sie. Meren beobachtete, wie Kysen die Asche des verbrannten Papyrus neben seiner Sandale zerdrückte. Keiner von beiden sagte etwas. Nach solchen Nachrichten schwiegen beide meistens sehr lange. Morgen würden ihn die Probleme bei Hof und die Ermittlungen in diesem Mordfall in Atem halten. Was Kysen betraf, so würde er bei Sonnenaufgang in die Nekropole gehen, weil er Meren gehorchen wollte.
Plötzlich ging die Tür auf, und Merens Hand fuhr an seinen Dolch. Iry-nufer platzte in das Arbeitszimmer, gefolgt von einem Knaben, einem der Gehilfen seiner Krieger. Der Knabe japste nach Luft und lehnte sich gegen die Tür.
»Herr«, sagte Iry-nufer, »es ist Bakwerner.«
Meren und Kysen sahen sich an. Merens Stimme war schneidend vor Ungeduld.
»Er ist tot, nicht wahr?«
»Jemand hat sein Gesicht mit einer Tonscherbe zerschmettert.«
»Und der Verbrecher?« fragte Meren.
Der Knabe war wieder zu Atem gekommen und antwortete. »Fort, entkommen über eine Mauer hinter dem Gebäude des Amts für Aufzeichnungen und Tributzahlungen, die von einem Scherbenhaufen verborgen wurde.
Reia beobachtete ihn von der Ecke des Gebäudes aus, aber er verschwand hinter den Tonscherben und kam nicht mehr heraus. Zum Zeitpunkt, da Reia schloß, daß etwas nicht stimmen konnte, war es bereits zu spät.«
»Na gut«, sagte Meren. »Wir kommen sofort.«
Kysen folgte ihm, und Meren warf ihm einen Blick zu.
»Ich hatte eine Vorahnung, daß das Böse sich ausbreiten würde«, sagte Kysen. »Wer auch immer einen Mord im Tempel des Anubis begangen hat, hat Angst.«
»Oder er besitzt mehr Dreistigkeit als tausend lybische Banditen. Natürlich hatte Bakwerner etwas beobachtet. Ich hätte ihn hierher zerren und ihn bedrohen können, aber ich wollte darauf warten, daß er in Panik geriet.«
»Du hattest Recht. Er geriet in Panik.« Kysen bemerkte, daß sein Vater die Stirn runzelte. »Selbst der Hohepriester des Amun hätte nicht voraussagen können, was geschehen würde.«
»Ich kann nur darum beten, daß wir des Bösen habhaft werden, bevor es wieder zuschlägt«, sagte Meren. Er schüttelte seinen Kopf, als sie die Vordertür erreichten. »Du weißt, was mit einem Raubtier geschieht, wenn es menschliches Blut geleckt hat, und was mit einem Menschen geschieht, wenn er bemerkt, wie leicht es ist, einen Mord zu begehen.«
»Die Alten sagen, daß ein solcher Mensch zum Schlächter wird, dem das Schlachten eine Freude ist«, sagte Kysen.
»Und der Schlächter ist unter uns.«
Kapitel 7
Im Osten erwachte der strahlende Gott Ra zum Leben, brachte Licht und Leben, als Kysen das Fährboot betrat und sich zur Nekropole aufmachte. Der Bootsbesitzer folgte ihm, und sie glitten auf den Kanal hinaus, der nach Westen führte. Der Kanal war einer von vielen, die man in die Erde gegraben hatte, um die Felder zu beiden Seiten des Nil mit Wasser zu versorgen. In der Ferne beugten sich Bauern über ein weiteres Kanalufer und leerten Körbe mit Erde darüber aus, um seinen Zusammenbruch zu verhindern. Wenn die Kanäle nicht regelmäßig repariert wurden, zog sich das lebenspendende Wasser wieder zurück. Ohne solche Bewässerung würden auch die üppigen grünen Felder verschwinden und der sandfarbenen Einsamkeit der Wüste Platz machen.
Kysen blickte an dem einfachen Rock herunter, den er sich um die Hüften geschlungen hatte. In der vergangenen Nacht hatte er beschlossen, in die Nekropole nicht als der Sohn sondern als einer der Günstlinge Merens zurückzukehren. Meren war der Ansicht, daß ihn wahrscheinlich niemand, auch sein Vater nicht, erkennen würde – immerhin war er noch ein Kind gewesen, als er das Dorf verließ. Also hatte er seinen Gürtel aus Türkisen und Gold, seine edlen Ledersandalen und sein breites Halsband aus Malachit und Elektrum abgelegt.
Unruhig bewegte er sich auf der Planke, die ihm als Sitz diente. Seine Hand berührte einen Sack voll Korn, das für die Nekropole bestimmt war. Ein Großteil der Lieferungen, die das Dorf erhielt, wurden aus den Vorratskammern des Tempels oder des Palastes herangeschafft; im Gegensatz zu den meisten Dorfbewohnern wohnten die Handwerker nicht am Rande oder mitten im kultivierten Teil, sondern in einem kahlen, felsig-wüsten Tal südlich des Tals der Königinnen. Kysen dachte an den Groll, den sein Vater gegen die Vorarbeiter und Schreiber
Weitere Kostenlose Bücher