Der Falke des Pharao
kniete nieder, mit der Stirn berührte er den Boden. Er konnte eine goldene Sandale erkennen.
»Erhebt Euch«, sagte der König.
Meren richtete sich auf. Der König trug seine Amtsrobe. Ein Tuch aus feinstem Stoff bedeckte seinen Kopf und war durch das Uraeus Diadem befestigt. Sein Hals, seine Arme und Beine waren über und über mit Gold, Lapislazuli und Türkisen geschmückt, aber er hatte das doppelte Zepter, den Stab und das Rutenbündel auf den Thron gelegt. Tageslicht fiel durch die hohen Fenster des Audienzsaales auf den König, und sein Glanz ähnelte dem seines Vaters, dem Sonnengott.
Tutenchamun seufzte und rieb sich die Schläfen. Beinahe verschmierte er dabei die dicke Schminke, die seine Augen umgab. Plötzlich stand er auf und entfernte sich vom Thron. Meren folgte ihm, bis sie in einigem Abstand vom Thron und zu den Säulen stehenblieben.
Tutenchamun griff nach Merens Arm, zog ihn näher zu sich heran und fragte leise. »Glaubt Ihr, daß man mich hören kann?«
»Wer, Euer Majestät?«
»Jeder, der uns belauscht.«
»Nein, Majestät.«
Der König seufzte erneut. Er krümmte sich und rieb sich wieder die Schläfen. »Sie hat mich betrogen.«
Merens Herz schien einen Augenblick lang stillzustehen. Er hielt den Atem an.
»Die Königin?« fragte er.
Tutenchamun nickte und blickte Meren aufmerksam ins Gesicht.
Meren schwieg erneut. Ankhesenamun, die Tochter des Pharao Echnaton, deren königliches Blut Tutenchamun seinen Anspruch auf den Thron am meisten sicherte. Das Mädchen hatte ihren fanatischen, verrückten Vater angebetet. Sie hatte Tutenchamun niemals vergeben, daß er seinem Königreich die alten Götter zurückgegeben hatte. Meren hatte Tutenchamun niemals Fragen über sie gestellt, denn ihre Beziehung zu ihrem Vater war sehr eng gewesen. Wie ihre älteren Schwestern, so war auch sie mit Echnaton verheiratet gewesen.
Als er starb, war es Tutenchamuns Pflicht gewesen, Ankhesenamun zu heiraten. Sie war fünf Jahre älter als Tutenchamun und hatte ihre Pflicht erfüllt, indem sie ihre Ernennung zur Großen Königlichen Frau annahm, aber sie haßte ihren Ehemann, weil sie sein Verhalten als Verrat betrachtet hatte. Sie hatte gegen die Wiedereinsetzung der alten Götter, ebenso wie gegen die Rückkehr nach Theben aus der Hauptstadt ihres Vaters angekämpft. All das tat sie mit einem Fanatismus und einer Boshaftigkeit, die der ihres Vaters gleichkam.
Und jetzt hatte sie den König betrogen. Sie umgab sich mit Fanatikern, die schon ihrem Vater in der alten Sonnenstadt des Aton gedient hatten. Hatte sie den König mit einem von ihnen betrogen? Oder hatte sie ein gleichermaßen verwerfliches Verbrechen geplant – den Tod des Königs?
Was auch geschehen sein mochte, Tutenchamun hatte einen Fehler gemacht, als er seine Audienz unterbrach. Er wußte geschickt mit Intrigen umzugehen, aber es brach einem das Herz, wenn man sah, wie überstürzt er handelte, wenn der Mut ihn verließ. Der Grund dafür war seine Jugend, und seine Jugend war es auch, die ihn gefährdete.
»Herr«, sagte Meren so leise wie möglich, »wie hat sie Euch betrogen?«
Der König erwiderte seinen Blick, und Meren sah den unterdrückten Zorn in den Augen eines empörten Königs. »Sie schrieb einen Brief an den König der Hethiter. Diese Hure schrieb an meinen ärgsten Feind und bot ihm an, einen seiner Söhne zu heiraten, wenn er herkäme und mich tötete.«
»Gnadenreiche Isis.«
Meren spürte, wie die Muskeln an seinem Hals sich vor Anspannung verhärteten. Die Hethiter machten dem Pharao seine Macht streitig. Sie nagten an den Grenzgebieten des Reiches und förderten die Rebellion in den Vasallenstaaten Palästina und Syrien. Eines Tages würden Ägypten und das Reich der Hethiter miteinander Krieg führen. Wenn Ankhesenamun Erfolg gehabt hätte, dann hätte der Krieg jetzt beginnen können, da der Pharao noch ein Knabe war und schlecht vorbereitet, um sich den bösartigen Scharen der Hethiter zu stellen.
»Was soll ich tun?« Der König zog seinen goldenen Dolch, der nur für Zeremonien vorgesehen war.
»Ihr könnt sie nicht töten.«
»Sie hat die schlimmste aller Sünden gegen mich verübt.«
»Sie ist die Große Königliche Frau, die Tochter eines Pharao. Das Königreich hat schon zu viel und zu lange Ungemach und Unsicherheit ertragen müssen, Majestät. Die Hinrichtung einer Königin würde viel Unheil anrichten und den Glauben der Menschen an Euch erschüttern, egal wie unschuldig Ihr seid, oder wie
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