Der Falke von Aryn
Stadt, gekleidet, schützten diesen Wagen, trieben die davon, die ihm zu nahe kamen. Auf der Ladefläche stand auf einem hölzernen Podest der Falke und glänzte golden in der Mittagssonne. Neben ihm, die Hand auf das goldene Gefieder gelegt, stand Lord Visal, der sich im Bewusstsein seines Triumphs sonnte. Don Amos war ebenfalls auf dieser Kutsche zu finden, er saß, ganz offensichtlich gut gelaunt, neben dem Kutscher auf dem Bock.
Er hatte ja auch wenig Grund zur Sorge, dachte Raban, als er hinter Morts breitem Rücken hereilte. Der Aragone wusste, dass sein Plan aufgegangen war. Eine kaiserliche Stadt auf manvarischem Grund, nein, ein ganzes Herzogtum unter dem Einfluss Aragons, ohne dass nur ein Tropfen Blut vergossen wurde.
Auch Mort war nicht bester Laune. Er hatte oft den richtigen Instinkt gehabt, richtig geraten, und Meister Hagenbrecht hatte ebenfalls vieles kommen sehen. Doch dass der Ordensmeister der Bruderschaft sowohl Lorentha als auch den manvarischen Hüter aus der Stadt locken würde, hatte keiner von ihnen vorhergesehen.
Es hätte Mort egal sein können, Lorentha lebte, dafür hatte Hagenbrecht bezahlt, doch zwanzig Jahre auf einer ungewohnten Seite hatten auch bei dem Todeshändler Spuren hinterlassen, und er fürchtete schon fast, dass es bald noch so weit kommen würde, dass er Gerechtigkeit als wichtig empfand.
Vielleicht war es auch nur so, dass Mort es diesem Aragonen und dem Lordling nicht gönnen wollte, dass ihr Plan Erfolg haben sollte. Das wird es sein, dachte Mort grimmig, als er die Menge vor sich teilte, die gar nicht wusste, warum sie es mit einem Mal als so dringlich empfand, einen Schritt zur Seite zu tun. Für Amos war bezahlt, für Visal nicht. Sollte diesem falschen Lord sein Spiel gelingen, würde es ihm keine Freude bringen. In einhundertundacht Jahren, dachte Mort entschlossen, konnte er es sich auch einmal leisten, mit dem Tod zu handeln, ohne dass jemand dafür bezahlte.
Nur dass er in diesem Moment keine Gelegenheit sah, den Handel zum Abschluss zu bringen. Dies war die Stunde von Visals Triumph, und auch wenn Mort es ihm nicht gönnte, zu verhindern war es nicht.
Raban hegte ähnliche Gedanken und bereute es, dass er Visal nicht selbst schon lange einen Schubs gegeben hatte, aber er fand es faszinierend, wie Mort die Menge vor ihm teilte wie ein scharfer Bug das Wasser. Niemand schien ihn wahrzunehmen, aber bei all dem Gedränge waren es Mort und Raban, die im fast normalen Schritt gehen konnten und so sogar imstande waren, langsam zu diesem Wagen aufzuschließen.
Als Visal und der Falke den Platz vor dem Tempel erreichten, hatten Mort und Raban den Wagen erreicht. Ab und zu sah Don Amos mit gerunzelter Stirn in ihre Richtung, doch auch er schien sie nicht wahrzunehmen.
»Wir sind nicht unsichtbar, Junge«, hatte ihm Mort bei anderer Gelegenheit erklärt. »Man sieht uns, nur nimmt man uns nicht wahr. Irgendwann wirst du es verstehen.«
Irgendwann war nicht jetzt, und Raban fand es noch immer unheimlich, dass man ihm direkt in die Augen sehen konnte, ohne ihn wahrzunehmen, aber man konnte sich auch daran gewöhnen.
Mort schien nichts von Pistolen oder Armbrüsten zu halten, jetzt wünschte sich Raban, es wäre anders. Für einen Wurf war Visal doch zu weit entfernt, aber ein gut platzierter Schuss hätte alles noch wenden können. Einer von Visals Männern trug eine dieser neuen Steinschlosspistolen in seinem Gürtel. Die Waffe war nur einen Griff entfernt, aber selbst das würde nichts ändern. Raban konnte mit einem Messer einer Fliege im Flug die Beine rasieren, aber mit einer Pistole würde er selbst dann kein Scheunentor treffen, wenn er in der Scheune stände.
Die Verschwörer hatten das Spiel gewonnen, es blieb nur, die Kaiserkarte auch noch auszuspielen, dann konnten sie mit ihrem erschlichenen Gewinn nach Hause gehen. Wieder hatte die Bruderschaft bewiesen, wie sie mit ihren Intrigen die Welt nach ihren Wünschen formen konnten, ungesehen morden und Schicksale stehlen konnten. An fast alles hatten sie gedacht und, ohne es zu wissen, mit Hagenbrecht sogar einen anderen ungekrönten Meister in seinem Spiel geschlagen.
Als Visals Wagen vor dem Tempel zum Stehen kam, blieb nur noch übrig, eine Rede zu halten und den Falken fliegen zu lassen, dann war es vollbracht.
Es war den Verschwörern als eine gute Idee erschienen. Der Falke stand als Sinnbild für die ganze Stadt, für den Segen einer Göttin. Flog er zu Visals Schultern und ließ sich auf ihm
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