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Der Falke von Aryn

Der Falke von Aryn

Titel: Der Falke von Aryn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Schwartz
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damit man ihn nicht als den falschen erkennt. Wir sehen uns heute Abend auf dem Ball.«
    »Wartet«, bat sie ihn leise. »Ihr habt recht, ich suche keinen Streit mit Euch.«
    »Ich weiß«, sagte er knapp. »Ihr streitet mit Euch selbst. Aber Ihr werdet lernen müssen, dass Ihr Euch nicht vor dem verstecken könnt, was oder wer Ihr seid. Die Götter gaben Euch eine Aufgabe, Euer Stand im Leben ist der Lohn dafür. Doch Ihr habt auch damit recht: Erfüllt Ihr die Aufgabe nicht, sind auch Eure Privilegien nur erschlichen. In Manvare handhaben wir es etwas anders als im Kaiserreich. Hier haben wir die Hüter, die darauf achten … im Kaiserreich waren es einst die Walküren, die das Gleiche taten. Man hört nicht mehr viel von ihnen. Wenn Ihr Euch so sehr der Gerechtigkeit verschrieben habt, warum folgt Ihr dann nicht ihren Schritten und findet heraus, warum dies so ist?«
    Und damit ließ er sie auf den Tempelstufen stehen.
    »Wartet«, bat sie ihn erneut. Er drehte sich auf der untersten Stufe um und schaute sie fragend an.
    »Der Zauber?«
    »Ist bereits aufgelöst«, sagte er knapp und deutete eine Verbeugung an. »Wir sehen uns auf dem Ball.«

Pflicht und Tränen
    15  »Nach Hause«, bat Lorentha den Kutscher, einen knurrigen alten Mann, der beständig Tabak kaute. Zwar trug er die Livree der Gräfin unter seinem weiten Mantel, aber dennoch wirkte er mehr wie ein in die Jahre gekommener Schlagetot als wie ein Diener.
    Er bedachte sie mit einem Blick, als hätte sie ihn beleidigt, und gab nur ein Grunzen von sich. Seitdem Raban ihn gefoppt hatte, schien er eher noch missmutiger als zuvor. Auch Dame Denlar hatte wohl ihr die Schuld an Rabans Streich gegeben. Mit zusammengepressten Lippen und einem noch griesgrämigeren Gesichtsausdruck hatte sie der Gräfin mitgeteilt, dass sie lieber im Hafen Ratten jagen würde, als sich von der »jungen Dame« noch einmal an der Nase herumführen zu lassen, und war mit hocherhobenem Kinn davongerauscht.
    Die Gräfin hatte Lorentha mit einem durchdringenden Blick bedacht. »Ich hatte damit nichts zu tun«, hatte sich die Majorin wahrheitsgemäß verteidigt. »Als ich die Hutmacherin verließ, war die Kutsche nicht mehr da.«
    Allein dafür war sie Raban schon Dank schuldig. Sie warf einen letzten Blick zum Tempel zurück, wo Raphanael neben seiner Schwester stand und ihr nachzusehen schien. Im Laufe ihrer zwölf Jahre bei der Garda hatte sie einiges gesehen, was sie mitunter auch nachts in ihren Träumen verfolgte, aber der dunkle Tempel, der Anblick des Novizen, wie er leblos über dem Zaun hing, ja, auch die Rosenblätter, von denen sie wohl so schnell keines mehr sehen würde, ohne an Blut zu denken, hatten sie bedrückt. Gut, sie hatten etwas Wichtiges herausgefunden: Der Novize war wohl an dem Raub in keinster Weise beteiligt gewesen, was bei den anderen Priestern zu deutlich sichtbarer Erleichterung geführt hatte, doch dass der Raub wohl schon über fünf Wochen lang unbemerkt geblieben war, konnte niemandem gefallen. Alles in allem kein erbaulicher Nachmittag. Am Anfang hatte sie noch scherzen können, selbst jetzt musste sie lächeln, als sie sich daran erinnerte, wie entsetzt der Manvare geschaut hatte, als sie ihm von dem Besuch der Mutter bei der Gräfin erzählte, aber ab dem Moment, da sie den Tempel betreten hatte, war ihr jede Heiterkeit gründlich vergangen.
    In der Nacht zuvor war ihr der Tempel nach der unheimlichen Begegnung wie ein Refugium erschienen, doch im Moment schien er ihr mehr düster und bedrohlich. Entweiht. Das war wohl das Wort, das sie gesucht hatte. Sie seufzte, als sie sich überlegte, wie sich Raphanaels Schwester wohl fühlen musste, die ihr Leben in den Dienst der Göttin gestellt hatte.
    Noch war es recht früh am Nachmittag, alles in allem waren sie schneller fertig geworden als gedacht, und in den Straßen war noch einiges los. Es waren zwar ein paar Wochen hin bis zu der Prozession, aber während die Kutsche langsam durch die lange, gewundene Straße rollte, wobei der Kutscher seinen Fuß beständig auf dem Bremsstock hielt, konnte sie von den bequemen Polstern aus zusehen, wie die Anwohner sich auf die Prozession vorbereiteten. Putz wurde neu aufgebracht, hier und da strich jemand ein Haus neu oder frischte die Farbe an den Fensterläden auf. Bei Tag erschien ihr die Gegend vollständig anders; wo des Nachts Schlitzer und Halunken auf den lauerten, der so dumm war, sich in diese Gegend zu verlaufen oder die Sicherheit der Häuser zu

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